Das Auge der Seherin
hatte. Sein Ärger stachelte ihn zu einer wortreichen Beschuldigung von Dahmis' Wahrsagerin an, sie sei die eigentliche Drahtzieherin des Angriffs auf die Bucht von Schlossburg. „Wie sonst hätten die Sliviiter ihre Flotte ausgerechnet an den ungeschütztesten Stützpunkt von Glavenrell umleiten sollen?", rief er. „Sie ist die Einzige, die das Wissen und die Beweggründe hatte, unseren Feinden solche Informationen zuzuspielen!", rief Vesputo.
Bald griffen die anderen Könige seine Forderung auf, sie zu jagen und unschädlich zu machen. Je mehr die Seherin angeprangert wurde, desto ernster wurde Dahmis. Der Oberkönig nahm sie in Schutz, doch seine vernünftigen Worte stießen bei den hochmütigen Königen auf taube Ohren.
„Ihr gebt zu, dass sie Euch nicht mehr hilft!", brüllte Mlaven. „Das heißt, sie weiß zu viel! Wer nicht für Euch ist, ist gegen Euch. Und mit ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten wird sie uns gefährlich!"
„Denkt an die Verluste, die wir hätten erleiden müssen!", gab Vesputo zu bedenken.
Schließlich erhob sich Dahmis, sein Gesicht hart wie Eichenholz. „Nun gut", sprach er mit tiefer Stimme, „versucht sie zu finden. Doch ihre Seherkraft könnte Euren Plan zunichte machen." „Wo ist sie?", rief Mlaven.
„Ich habe geschworen, es nicht zu verraten", antwortete Dahmis.
„Nun denn, dann eben nicht", warf Vesputo in das Stimmengewirr ein. Als die Könige endlich schwiegen und ihn ansahen, spielte er seinen Trumpf aus. „Keiner von uns möchte, dass der Oberkönig seinen Schwur bricht." Dahmis verbeugte sich steif in seine Richtung. „Doch nichts spricht dagegen, auch uns ein Versprechen zu geben, mein König", fuhr Vesputo fort. „Versprecht dieser Versammlung hier, dass Ihr sie nicht warnen werdet. Dann kann jeder von uns versuchen sie zu finden. Sie aufzuspüren kann für unsere Krieger sogar eine nützliche Übung sein. Ich kann aber schon jetzt sagen, dass sie irgendwo in Desante lebt."
Vesputo triumphierte innerlich, als die anderen ihre Gläser erhoben und ihm zuprosteten. Er war kriegserfahren genug, um zu wissen, dass diese Männer, denen die erwartete Schlacht versagt worden war, darauf brannten etwas zu unternehmen.
Der Oberkönig setzte sein Glas ab. „Liebe Verbündete", sprach er mit den Raum füllender Stimme. „Ich bedaure, dass dieses Treffen, auf dem wir den Frieden und den Sieg über die Sliviiter feiern wollen, der Verurteilung eines Menschen dient, der vielen von uns geholfen hat. Lasst uns erfreulicheren Dingen zuwenden. Unser Bündnis hat sich in einem historischen Augenblick bewährt. Zur Feier lade ich Euch alle für morgen Abend zu einem Fest ein." Hier machte er eine Pause, die Könige tranken ihm zu. „Für den heutigen Abend", fuhr er fort, „müsst Ihr mich entschuldigen. Ich muss ruhen." Dem großen König war die Erschöpfung anzusehen. Es hieß, er habe seit Tagen nicht mehr geschlafen.
Vesputo schloss sich den anderen Königen an und verneigte sich ehrerbietig vor dem Oberkönig, als dieser sich majestätisch entfernte. Sein hoheitsvolles Auftreten erinnerte Vesputo an die große Zeit von König Kareed.
Vesputo verlor keine Zeit und sprach sofort mit Beron. „Alle Könige waren einverstanden. Die Seherin muss sterben." „Die Prin..."
„Ja. Alle werden sie suchen lassen. Wir aber wissen, wo sie ist und wie sie aussieht. Du kannst also der Erste sein."
„Soll ich sie gefangen nehmen und nach Archeld bringen, mein Herr?"
Vesputo strich sich über das Kinn. „Ich glaube, es würde nur Probleme machen, sie bewachen zu lassen. Nein. Ich brauche nur den Kristall. Eine andere Frau soll lernen, in ihm die Zukunft zu sehen. Irene verriet mir, wie der Zauber funktioniert." „Soll ich sie töten, Herr?"
„Töte sie. Doch vorher sichere dir den Kristall. Ich will
diesen Stein haben."
„Natürlich, mein Herr, aber wie ..."
„Kein Gift." Vesputo fuhr mit dem Finger über Berons
Hals. „Reite auf dem schnellsten Weg nach Desan."
Jawohl, Herr. Ich breche sofort auf."
„Gut. Und trage eine Maske."
Als Dahmis aus dem Versammlungsgebäude trat, wurde er von jubelnden Menschen umringt, die ihm ein bequemes Lager und ihre ganze Habe aufdrängten. Dahmis war dankbar für ihre Freundlichkeit, aber es drängte ihn fort.
Er suchte Blickkontakt mit Larseid, der an diesem Nachmittag eingetroffen war.
Innerhalb von Minuten gelang es ihm, den König fortzugeleiten, während die Leute mit höflichen Versprechungen abgespeist wurden. Der
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