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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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und ausgeliefert. Er näherte sich dem riesigen Schiffsleib und es kam ihm vor, als müssten die Soldaten an Deck sein Herz klopfen hören. Ob sie ihn sehen konnten, wenn sie hinuntersahen? Sah er aus wie ein schwimmender Tintenfleck oder wie das, was er war, ein junger Mann, entschlossen sie zu zerstören? Tu niemandem etwas zuleide. Der Lehrsatz seiner Kindheit hallte in seinem Kopf wider. Landen wandte seine Gedanken den Kameraden zu. Er stellte sich vor, wie sie gleich ihm in ihren Korbbooten knieten, gegen die Strömung auf die Schiffe zusteuerten und die schwere, mit Teergeruch vermischte Salzluft einatmeten. Sein Herz trommelte im Takt seiner Paddelschläge. Als er in den Schatten des Schiffs eintauchte, begann sein Korb sich wild zu drehen, und obwohl er versuchte ihn anzuhalten, schlug er gegen den Rumpf. Landen suchte nach irgendeinem Halt, fand aber nur glattes Holz. Aufgeregt überlegte er, dass auch die anderen Kurbel und Bohrer vom Wasser aus würden benutzen müssen. Er zerrte an seinen Stiefeln, während das Korbboot sich im Kreis drehte und gegen das Schiff schlug. Da zog er ein Schuhband heraus und band das eine Ende um sein Handgelenk und das andere an eine Verstrebung seines Bootes. Schon war er draußen im kalten Wasser, doch achtete er kaum auf die Temperatur, sondern konzentrierte sich darauf, das Werkzeug am Rumpf anzusetzen und zu bohren. Er betete, dass niemand ihn hörte, dass nicht zufällig jemand auf der anderen Seite der Wand im Schiffsbauch war. Während er mit aller Kraft den Bohrer führte, zerrte das angeseilte Boot an seinem Handgelenk und schlug hin und her. Die Bretter waren aus dicker, starker Eiche und gaben lange nicht nach. Aber schließlich war ein Loch geschafft und Landen machte sich an das nächste. Als auch das fertig war, führte er das Schuhband durch beide Löcher und befestigte das Korbboot am Schiffsrumpf. Dann wuchtete er sich hinein, wobei er es beinahe zum Kentern brachte, und tunkte die dicke Bürste in den Teereimer und bestrich in rasender Eile das Holz um und in den Löchern mit dem Teer. Als aller Teer verbraucht war, stopfte er die mit Wachs getränkten Lumpen in die Löcher.
    Dann hockte er sich im Boot nieder und wartete. Er zitterte am ganzen Leib und versuchte, seinen keuchenden Atem unter Kontrolle zu bringen. Das leise Geräusch des gegen den Schiffsbauch schlagenden Korbes dröhnte wie Donner in seinen Ohren, der die Sliviiter herbeirufen wollte.
    Wie mochte es den anderen ergehen? Hatten sie es geschafft, die Bohrer anzusetzen, ohne das Boot zu verlieren? Würden sie genug Zeit haben?
    Landen schälte sich aus seiner nassen Kleidung und verstaute sie am Boden des Korbes. Angestrengt lauschte er in die Dunkelheit und versuchte, aus dem Stimmengewirr vom Schiff etwas zu verstehen. Manche Stimmen klangen so nah, als stünden die Soldaten direkt über ihm auf Deck. Er kauerte sich zusammen und sehnte mit jeder Faser seines Körpers das Ende der Aktion herbei. Das Feuer am Strand sollte die Aufmerksamkeit der Sliviiter ablenken. Ob es schon brannte? Sollte er jetzt das Feuer legen?
    Plötzlich schwirrten laute Rufe durch die Nacht und er hörte das Trappeln von Füßen an Deck. Die Schreie der Sliviiter hallten von Schiff zu Schiff.
    Landen hantierte mit Feuerstein und Zunder und beobachtete, wie die Funken auf den Docht übersprangen. Das Flämmchen züngelte sich rasch an dem Lumpen entlang und explodierte in lodernden Flammen, kaum dass es den Teer erreichte.
    Noch bevor er ins Wasser eintauchte, meinte er, den Widerschein vom Feuer der anderen Schiffe zu sehen. Er holte tief Luft, tauchte unter und schwamm Richtung Süden. Kaum hatte er sich ein wenig vom Schiff entfernt, erfasste ihn der Sog der Strömung, die ihn wie ein Blatt im reißenden Fluss aufs offene Meer hinauszog. Mühsam versuchte er, die Richtung zu halten und schräg zu den Wellen zu schwimmen. Sein Floßholz hatte er vergessen, es lag am Boden seines Bootes, verdeckt von seiner nassen Kleidung. Unmöglich es jetzt noch zu holen.
    Als er wieder an die Oberfläche kam, hatte die Strömung ihn fünfzig Meter weiter nach Westen getrieben. Eine Weile ließ er sich von den Wellen tragen und beobachtete die Feuersbrunst, die sich gefräßig über sein Schiff hermachte. Im Schein der Flammen konnte er entsetzte Gesichter ausmachen, die über die Reling starrten. Schreie zerfetzten die Luft, das Feuer toste. Die Strömung trieb ihn so schnell voran, dass er bald außer Reichweite ihrer Pfeile

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