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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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sein würde. Er dachte an die Männer, die die Schiffe auf der Ostseite in Brand gesteckt hatten. Die Strömung würde sie direkt auf die weiter westlich gelegenen Schiffe zutreiben. Landen suchte das orange leuchtende Meer ab, in dem sich die brennenden Schiffe widerspiegelten. Dicht vor dem nächstgelegenen Schiff tauchte ein Kopf über der Wasseroberfläche auf. Landen schlug auf das Wasser ein und versuchte vergeblich, dem Sog der Strömung zu entkommen. Da verschwand der Kopf wieder und tauchte etwa zwanzig Meter vom Schiff entfernt wieder auf. Pfeile zischten durch die Nacht und gleich darauf ging der Mann wieder unter.
    Landen versuchte, seinen Kameraden zu erreichen und vergaß dabei seine eigene Warnung, nicht direkt gegen die Strömung zu schwimmen. Ein kleines Stück vor ihm hörte er ein Gurgeln, dann sah er Bangors heiles Auge auf sich gerichtet.
    „Was machst du hier, Mann?", schrie der Teufel mit dem Engelsgesicht. „Du hast doch selbst gesagt, dass wir auf keinen Fall gegen die Strömung kämpfen dürfen!" Landen starrte auf das seltsam flackernde Meer. Im Inferno zeichneten sich die Umrisse der Menschen an Deck ab wie Schattenfiguren auf einer Puppenbühne. Er sah Sliviiter, die versuchten die Beiboote vom Heck ins Wasser zu lassen. Bogenschützen zielten ins Wasser. Als die Flammen höher schlugen, sprangen einige in Panik über Bord. Das nächste Schiff in der Reihe neigte sich schwerfällig zur Seite, der Rumpf brannte lichterloh.
    Landen spürte eine eiserne Hand auf seiner Schulter, Bangor schüttelte ihn.
    „Komm, Bellanes! Schwimm, Mann!" „Aber die anderen!"
    „Lass sie! Sie geben ihr Bestes wie du und ich! Los! Diese Strömung ist mörderisch." Bangor schüttelte ihn wieder. „Wo ist dein Floß?" „Vergessen."
    „Dann teilen wir uns meines. Schwimm! Wenn wir die Strömung nicht endlich hinter uns lassen, sind wir noch bei Sonnenaufgang auf dem offenen Meer." Landen riss sich von dem schrecklichen Anblick los und begann zu schwimmen. Seite an Seite kämpften sich die beiden Männer mit aller Kraft nach Süden.
    Andris stand auf dem verlassenen Strand im Süden der Bucht und wartete. Mit übermüdeten Augen suchte er im ersten Morgendämmern das Meer ab. Der Oberkönig hatte ihm aufgetragen, für Bellanes und seine Mannschaft ein Lager zu errichten, sonst wurde jeder verfügbare Mann zur Verteidigung der Bucht gebraucht. Die Ebbe setzte ein und Andris begann, im groben Sand oberhalb des Ufers ein Feuer zu entfachen. Ein Schwimmer nach dem anderen wurde auf den hereinstürzenden Brechern angeschwemmt. Mit tauben Fingern umklammerten sie ihre Balken und krochen gestützt von Andris erschöpft durch das seichte Wasser. Aber auf seine neugierigen Fragen konnten sie nicht antworten. Manche hatten nicht einmal mehr die Kraft, sich bis zum Feuer zu schleppen. Sie fielen einfach am
    Rand des Wassers um und schliefen ein. Andris zog sie zum wärmenden Feuer und ging, um nach den anderen Ausschau zu halten.
    Die Sonne ging auf und ließ ihre Strahlen wild auf dem Wasser tanzen. Noch immer kein Zeichen von Bellanes. Und auch von Bangor nicht. Auch sieben Männer von Dahmis' Truppen fehlten noch. Beunruhigt ging Andris am Strand auf und ab.
    Schließlich hielt er es nicht mehr länger aus. Am Wurzelwerk eines alten Baumstamms am Ufer war ein kleines Fischerboot festgemacht. Er machte es los und sprang hinein.
    Hohe Wellen brachen ihm entgegen, er schien kaum vorwärts zu kommen. Dann aber hatte er die Brandung hinter sich und spähte über das Wasser. Nichts. Er ruderte weiter, bis der Strand nur noch eine dünne Linie in der Ferne war, und schaute ständig nach seinen Freunden aus. Noch immer war nichts zu sehen außer der unbarmherzig blendenden Sonne auf dem Wasser. Tränen rollten über sein Gesicht in seinen Bart. Er ruderte nur weiter, weil er es nicht übers Herz brachte umzukehren. Das Meer kam ihm vor wie eine unendlich große Wasserschüssel, über die sich eine unendlich große Himmelsschüssel neigte und er war inmitten des Blaus nur ein winziges, verlorenes Pünktchen. Da entdeckte er am Horizont zwei dunkle Flecken. Sein Herz schlug laut und mit frischer Kraft legte er sich in die Riemen. Langsam, langsam verging die Zeit. Das
    Meer schien nicht gewillt, den Abstand zwischen Andris' Boot und seinem Ziel geringer werden zu lassen. Endlich war er so nahe gekommen, dass er sie sehen konnte. Zwei Männer. Einer schien leblos zu sein. Der andere hing über einem kurzen Balken und hielt

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