Das Auge der Seherin
großer Stein vom Herzen gefallen, seine Augen leuchteten vor rätselhaftem Glück.
„Schaut nur!", sagte Bangor grinsend. Der sliviitische Sklave lag, in den Fäden des Fischernetzes verheddert, im Regen und schnarchte. Andris sah ihn groß an und Bellanes schmunzelte. „Er muss sich draußen im Meer irgendwie wach gehalten haben. Er hat sich durch die Strömung gekämpft und unser Boot zu fassen bekommen, während wir schliefen. Er hätte uns leicht zum Kentern bringen können, Andris, aber er hat sich nur festgehalten. Er ist kein Mann des Krieges, er hat nur versucht sein Leben zu retten."
Andris sagte kopfschüttelnd: „Na gut, wenn es unbedingt sein muss."
Bellanes beugte sich über die Ruder und sagte: „Es muss sein. Kommt, wir rudern nach Hause." Als sie den Strand erreichten, war der Regen schwächer geworden. Die drei müden Freunde fanden ihre Kameraden um ein Feuer versammelt. Die Männer hockten benommen unter durchnässten Decken. Auf die Fragen der drei wussten sie keine Antwort. Vielleicht tobte die Schlacht noch auf den Stränden der Bucht, vielleicht war Dahmis längst gefallen. Keine Nachrichten. Nichts. Bangor fiel zu Boden und schlief sofort ein, während Andris und Bellanes mit letzter Kraft das Boot an Land zogen. Bellanes bestand noch darauf, den Sklaven zuzudecken, dann brach auch er zusammen.
Als Landen erwachte, sah er über sich im sanften Licht der Morgendämmerung den wolkenlosen Himmel. Er richtete sich auf. Irgendetwas hatte ihn geweckt. Der Strand war übersät mit schlafenden Gestalten, die wie hingeworfen neben einem niedergebrannten Feuer am Boden lagen. Wenigstens eine Wache hätten sie aufstellen können. Er lauschte nach allen Seiten, dann schlug er den grobkörnigen Sand von sich ab. Vorsichtig ging er auf die großen, schwarzen Felsbrocken zu, die das Lager begrenzten.
Da, das leise Knirschen von Fußtritten. Geduckt lief er dem Geräusch entgegen. Aus den Felsen löste sich ein Schatten. Der Oberkönig. Landen umarmte ihn. „Bellanes. Ihr seid in Sicherheit. Gott sei Dank." „Und Ihr, mein König? Was geschah in der Bucht von Schlossburg?"
„Erst erzählt, wie es Euch ergangen ist", sagte der Oberkönig.
„Sieben Soldaten haben es nicht zurück zum Strand geschafft", antwortete Landen traurig. Der König senkte den Kopf. „Alle anderen sind zurückgekommen." Dahmis legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Euch und Euren tapferen Männern ist es zu verdanken, dass wir die Sliviiter geschlagen haben. Das Feuer hat viele ihrer Schiffe zerstört. Die restlichen Soldaten flüchteten sich ans Ufer. Manche kamen in Langbooten und kämpften verzweifelt. Andere kamen halb ertrunken an, zu erschöpft zum Kämpfen. Es ist vorbei, Bellanes. Dank Euch besteht unsere Welt fort."
Landen atmete tief und sah auf die im sanften Morgenlicht glitzernde Wasserfläche hinaus. Das war derselbe Ozean, den er in der vergangenen Nacht gesehen hatte, als alles so ungewiss und bedrohlich war, der hier gegen die Felsen schlug. Ihnen war der Sieg und das Leben geschenkt worden. Es hätte auch anders ausgehen können. Traurig dachte er an die mutigen Männer, die gestorben waren, und an die sinnlose Grausamkeit des Krieges. Und er schmeckte seinen süßen Atem, der seine Brust im Takt der Wellen hob und senkte. Es war gut am Leben zu sein, die harten Sandkörner zwischen den Zehen zu spüren und die Vögel den neuen Morgen begrüßen zu hören.
Er sprach mit dem Oberkönig, bis die Sonne aufging.
9. Kapitel
Als Vesputo und die anderen Könige mit ihren Soldaten nach Schlossburg kamen, wurden sie von erschöpften Männern und Frauen im Siegestaumel begrüßt. Erleichtert über die Niederlage der Sliviiter wurden die meisten Soldaten sofort wieder nach Hause geschickt, heim zu ihren Familien, heim zu ihren Feldern und in ihre Städte. Mit sich trugen sie die Kunde von der Vereitelung des sliviitischen Angriffs, von Bellanes und seiner Bande und den Soldaten des Oberkönigs, die das furchtbare Aufgebot der Schlachtschiffe bezwungen hatten, von der kleinen, entschlossenen Schar von Kriegern unter dem Kommando des Oberkönigs, die die überlebenden Eindringlinge am Strand von Schlossburg gestellt und bezwungen hatte.
An diesem Abend trafen die Könige im größten Haus von Schlossburg zusammen, um sich zu beraten. Laut riefen sie nach Bellanes, dem Helden, um ihm zu huldigen. Der aber war grußlos verschwunden. Vesputo war bitter enttäuscht, dass er den berühmten Dieb verpasst
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