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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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Lichtung und Vesputo führte ihn durch die Menge zum Wasserzuber. Immer noch waren viele Menschen da. Alle waren vergnügt, lachten, sangen und tanzten. Vesputo schöpfte Wasser und der junge Mann trank gierig.
    „Beron, du hast beinahe das Alter für den Soldatenstand erreicht. Ich suche junge Leute für meine Truppe. Willst du bei mir dienen? Ich habe es gern, wenn Sieger an meiner Seite reiten."
    Beron drehte ihm das Gesicht zu und sah ihn beinahe anbetend an. Vesputos Truppe war eine der Elitetruppen.
    „Ja", brachte er krächzend hervor. „Ja, ich möchte bei Euch dienen."
    Landen kniff die Augen zusammen, seine Muskeln schrien vor Schmerz, aber er versuchte sich mit jeder Faser am Felsen festzuklammern.
    Doch das reichte nicht. Bald würde er fallen. Er hatte fast keine Kraft mehr und nur Beron wusste, wo er war. Warum nicht einfach loslassen? Der Aufprall würde nur kurz wehtun.
    Er öffnete die Augen. Dort der Himmel, der sich großartig über ihm wölbte, die unnachgiebige Felswand, das stetige Schlagen der Brandung, alles schien sich von ihm abgewandt zu haben. Hier soll ich zu Grunde gehen, an diesem Tag? Die Geräusche um ihn wichen einem Rauschen in seinen Ohren. Über ihm am Himmel flirrte ein Fleck und wurde immer größer, bis er die Gestalt seines Vaters, des Königs Veldon, angenommen hatte, der das Schwert von Bellandra in der Hand hielt. Angstvoll blickte Landen zu der Erscheinung auf, gequält von der Einsicht, versagt zu haben.
    Er hatte überlebt, damit er bei dem Eroberer weiterlebte, und doch wusste er noch immer nichts vom Verbleib des Schwertes. Und jetzt sollte er sterben, ohne etwas erreicht zu haben.
    „Nein", hörte er, „nicht loslassen."
    Landen biss so heftig die Zähne zusammen, dass sich sein Kiefer verkrampfte, seine Beine zitterten unkontrolliert.
    „Landen!" Eine weibliche Stimme, hell und klar wie von
    einem Kind, durchschnitt das Rauschen in seinem Kopf. Er leckte sich die ausgetrockneten Lippen. „Hier!", krächzte er. Er war bereit, sich in die Tiefe fallen zu lassen, überzeugt einer überirdischen Stimme zu gehorchen.
    „Landen!", rief die Stimme wieder, diesmal klang sie drängend und sehr greifbar.
    Er räusperte sich. „Hier unten!", rief er laut und sah nach oben.
    Dort, weit über sich, sah er Torinas Gesicht, die zu ihm hinunterspähte.
    „Haltet durch!", rief sie und ihr Gesicht verschwand. Landen zitterte am ganzen Körper, sein Atem rasselte. Gleich tauchte sie wieder auf, diesmal direkt über ihm.
    „Ich werfe ein Seil hinab!"
    Das Seil, das vorn zu einer Schlaufe geknotet war, wirbelte ihm entgegen.
    „Es ist an meinem Pferd befestigt", rief sie. „Schlingt es Euch um die Brust!"
    Mit einer Hand griff er nach dem Seil. „Ich kann daran hochklettern!"
    „Nein!", ertönte ihr Schrei, „sonst kommt Ihr um. Das Pferd soll Euch ziehen!"
    Sein eigener Atem kam ihm schrecklich laut vor, als er mit letzter Kraft erst die eine, dann die andere Schulter durch die Schlinge schob. Als sie sich um seine Brust spannte, verloren seine Füße den Halt und er baumelte über dem Abgrund. Er wollte das Seil mit den Händen fassen, aber seine Finger verkrampften sich und rutschen an den rauen Fasern ab. Erschöpft ließ er die Hände sinken.
    Das Seil schnitt in seine Brust ein und er wurde an der Felswand hinaufgezogen.
    Den ganzen langen Weg nach oben schleifte und schlug sein Körper am Felsen entlang, bis er endlich über den Rand stürzte. Vor sich sah er die kleine Gestalt Torinas, die das große Pferd am Zügel führte und Landen jetzt weiter über den Boden schleifte.
    „Halt!", rief er schwach. Torina fuhr herum, brachte das Pferd zum Stehen und eilte zu Landen. Sie kniete sich neben ihn. Mit zitternden Fingern versuchte er das verknotete Seil zu lösen. Gemeinsam knoteten sie die steife Schlinge auf.
    „Endlich." Sie ließ sich auf die Fersen nieder und betrachtete seine zerissene Kleidung, die von den vielen Schnitten und Schürfwunden ganz blutig war. „Tut mir Leid, dass Ihr verletzt seid. Aber ich wusste keinen anderen Ausweg."
    „Ich lebe. Und das ist mehr als ich hoffen konnte." Voller Schmerzen stützte sich Landen auf einen Ellbogen. „Wieso seid Ihr hier, mit diesem Pferd - dem Pferd des Königs?"
    „Ich habe Euch gesehen", sagte sie.
    Stöhnend richtete er sich auf. „Ihr habt mich gesehen?"
    Sie nickte.
    „Wie habt Ihr mich gesehen?"
    Sie zog etwas aus der Tasche. Es war ein runder Kristall von seltener Reinheit. „Darin habe ich Euch

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