Das Auge der Seherin
fertigte er kunstvolle Bögen an. Torina wollte die Kunst des Bogenschießens erlernen, aber ihr Vater hatte es ihr verboten. Gut. Landen wollte ihr einen Bogen bauen, ihr etwas Aufregendes, Geheimes schenken, mit dem er sich gleichzeitig gegen Kareed auflehnen konnte.
Landen ging zu Emid und erzählte ihm, er könne Waffen herstellen. Benötige der Ausbilder vielleicht ein paar neue Bogen? Emid willigte mürrisch ein, und von da an durfte Landen alle Werkzeuge benutzen, die er brauchte. In einem Schuppen fertigte er in seiner Freizeit mehrere kunstvolle Bogen an. Manchmal sah ihm eine Gruppe jüngerer Jungen zu, meist jedoch arbeitete er allein. Bald wunderte sich niemand mehr, wenn er mit Holz gesehen wurde.
4. Kapitel
Es war früh im Herbst und am verhangenen Himmel schien matt die Sonne. Torina hatte einen leichten Umhang über ihr Kleid geworfen. Gebückt streute sie ihre kostbaren Samenkörner in die flachen Furchen, die sie selbst gezogen hatte. Das Mädchen konnte es kaum erwarten, bis der Garten nach dem langen Winter erblühte. Die Großmutter hatte ihr versichert, der Schnee bewahre ihre selbst gesammelten Samen, bis sie in der Frühlingssonne keimten.
Die Großmutter saß in Decken gehüllt und auf Kissen gebettet in der Nähe und schlief. Liebevoll sah Torina sie an.
Niemand wusste, wie oft sie jetzt immer schlief. Wenn sie es erführen, würden sie jemand anderen als Aufpasserin für die Prinzessin bestimmen.
Sie besah sich die fertig bearbeiteten Beete. Ancilla war der Meinung, Betätigung an der frischen Luft sei für die Gesundheit das Beste, ihr langes Leben habe sie allein den vielen Stunden im Freien zu verdanken. Aber nicht nur Ancilla bestimmte Torinas Tagesablauf. Seufzend dachte das Mädchen an die herannahenden dunklen Winterabende, die außer Nähen und Plaudern nichts bieten konnten. Keine Gartenarbeit und kein Ausreiten mit Stina nach dem Essen.
Ein Kiesel fiel vor ihre Füße. Überrascht schaute sie auf. Halb verborgen vom Blattwerk der den Garten begrenzenden Bäume stand Landen und winkte ihr zu. Nach einem Blick auf Ancilla lief sie leichtfüßig über die dunkelbraune Erde zu ihm.
„Landen", rief sie lächelnd. Wie stark und gesund er aussah. Das lockige, dunkle Haar, die gerade Nase, die hohen Wangenknochen und großen Augen gaben seinem Aussehen etwas Exotisches.
„Guten Tag, Prinzessin", begrüßte er sie mit bewegter Stimme. „Ich habe etwas für Euch", sagte er. „Für mich?"
Er langte hinter sich ins Gebüsch und zog einen zierlichen Bogen und einige gefiederte Pfeile hervor. Torina nahm den Bogen und fuhr sanft über das seidige Holz, das in seiner kunstvollen Verarbeitung einer Vogelschwinge glich.
„Wie schön er ist. Woher habt Ihr ihn?", fragte sie und wog ihn vorsichtig in der Hand. „Ich habe ihn selbst gemacht."
„Ihr habt ihn gemacht? Aber wo kann ich ihn aufbewahren? Mein Vater wird nicht dulden, dass ich einen Bogen besitze."
„Im Wald. Ich habe extra eine Lederhülle gemacht, um
ihn vor der Witterung zu schützen." Gespannt sah er sie an.
„O ja. Ich könnte ihn im Wald verstecken." „Und wenn Ihr Euch manchmal mit mir treffen wollt, kann ich Euch in der Kunst des Bogenschießens unterrichten."
Er wollte sie unterrichten! Er, der das Bogenturnier gewonnen hatte. Bestimmt wusste er sehr viel. Torina und die Großmutter wollten am nächsten Tag bei der großen Kiefer auf der Wiese ein Picknick machen. Gespannt fragte sie Landen, ob er dorthin kommen wolle. Er willigte ein und wandte sich zum Gehen.
„Dann auf Wiedersehen. Danke! Landen, woher wusstet Ihr, dass ich mir einen Bogen wünsche?" „Woher wusstet Ihr, dass ich über dem Abgrund hing?", gab er zurück und verschwand im Dickicht der Blätter.
Eines Abends im Frühling ging Emid zu den Unterkünften der Krieger, um Eric zu besuchen. Dieser hatte sich der Truppe von Hauptmann Franton angeschlossen, die direkt unter dem König diente. Da die Luft lau und der Himmel sternklar waren, schlug er einen Spaziergang vor.
„Ich möchte dich etwas fragen, Eric. Es geht um deinen Freund Landen."
Eric hob erstaunt die Augenbrauen. „Landen? Was gibt es jetzt für Probleme mit ihm? Er hat doch gelernt sich zu verteidigen, dachte ich wenigstens ..." „Nichts dergleichen ist geschehen. Nein, es ist ein disziplinarisches Problem." „Ein Problem?" Eric grinste heimlich. „Er geht unerlaubt fort, mindestens zweimal im Monat, und verweigert jede Auskunft, wenn er wiederkommt."
„Ach,
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