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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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gesehen."
    Mit steifen Fingern berührte er die Kristallkugel und musste unwillkürlich an die alte Maria denken. Es hatte geheißen, sie würde ewig leben. Was war mit ihr geschehen als Bellandra fiel?
    „Dieser Kristall erinnert mich an einen, den ich schon einmal gesehen habe", sagte er langsam. „Er gehörte einer uralten Seherin in Bellandra." Vorsichtig strich er über den glatten Edelstein. „Wartet, Ihr habt mich darin gesehen. Wo wart Ihr?" „Auf dem Fest."
    „Ihr habt mich darin gesehen, vom Fest aus?" Er deutete auf den Kristall.
    Ja. Ich sehe immer Dinge, wenn ich hineinblicke." „Dinge?"
    „Dinge, die geschehen sind, und Dinge, die geschehen werden." Sanft berührte sie seine Wange. „Dies ist das erste Mal, dass die Kugel nicht Recht hatte." Er runzelte die Stirn. „Ihr sagtet, Ihr habt mich darin gesehen."
    „Das stimmt. Ich sah Euch fallen."
    Er starrte sie an und durchlebte noch einmal den Schrecken der vergangenen Stunde. Er hatte sterben sollen und dieses Kind hatte es verhindert, hatte ihm das Leben geschenkt. Merkwürdig, die Tochter eines Mörders.
    „Eine Seherin", stieß er hervor. „Ihr seid eine Seherin." Ich habe nicht gewusst, dass eine Seherin die Zukunft verändern kann.
    „Ist eine Seherin jemand, die die Zukunft voraussagen kann?", fragte sie.
    ,Ja. Gibt es in Archeld keine Seherinnen?" Sie schüttelte den Kopf. „Ich weiß von keiner." Er hielt den Atem an. Wie widersinnig, dass dieses begnadete Kind keine Ahnung von der Bedeutung seiner Gabe hatte und er, ein Fremder, sie darüber aufklärte. Er dachte an die große Schule der Seher in Bellandra, wo sich die Eingeweihten in ihrer Kunst ausbildeten. „In Bellandra gab es viele Seher. Die alte Maria erzählte mir einmal, dass nur alle fünf Generationen ein großer Seher geboren wird, nur einer in allen Königreichen." Nachdenklich hielt er inne. „Maria war eine große Seherin. Sie versuchte meinen Vater zu warnen." Er sah ihren Blick und unterbrach sich. Das Schweigen zwischen ihnen war quälend. Schließlich sprach sie: „Wie lange habt Ihr dort gehangen?"
    Landen seufzte. „Eine Ewigkeit", hörte er sich sagen. „Warum habt Ihr nicht Männer nach mir ausgesandt?"
    „Ich wollte ihnen nichts vom Kristall erzählen. Und wenn sie mir nicht geglaubt hätten ..."
    „Ich verstehe." Wieder berührte er den Kristall. „Wer weiß noch von Eurer Seherkraft?" „Meine Großmutter weiß es."
    Er reckte die Arme. Es schien alles in Ordnung. Jetzt begann er auch die vielen kleinen Schnitte und Schürfwunden zu spüren.
    „Vielleicht", sagte er leise, „solltet Ihr Euer Geheimnis bewahren." Selbst in Bellandra wurden die Seher abgeschirmt, weil sie sonst ununterbrochen von Menschen verfolgt wurden, die verzweifelt darauf aus waren, die Zukunft zu erfahren.
    Sie nickte. „Dann verratet Ihr es niemandem?" „Niemandem."
    „Wie ist das überhaupt passiert?", fragte Torina und blickte bedeutsam zu den Felsen hinüber. Landen zuckte die Achseln. „Ich habe das Gleichgewicht verloren."
    Sie schüttelte den Kopf. Dann nahm ihr Gesicht einen versonnenen Ausdruck an und sie beugte sich leicht über die Kristallkugel in ihrem Schoß. Fasziniert sah Landen ihr zu. Ihm war, als beobachte er etwas Verbotenes. Seher behielten ihre Visionen immer für sich. Torinas Schweigen dauerte nicht lange. Sie schob den Kristall wieder in die Tasche und sah ihn scharf an. „Beron."
    Landen betrachtete das Mädchen genau. Es hatte gewusst, dass er nicht zum Sklaven geschaffen war. Und jetzt hatte sie ihm geistesgegenwärtig das Leben gerettet. Ohne Ausbildung gelang es ihr, die Vergangenheit als auch die Zukunft zu sehen, eine äußerst seltene Gabe, selbst unter den größten Seherinnen. Und doch war sie nur ein Kind mit dem unschuldigen Gesicht eines Kindes. Wunderschöne, ozeangrüne Augen, gerötete Wangen und Haare wie goldenes Feuer. „Prinzessin", sagte er, „ich danke Euch, dass Ihr mir das Leben gerettet habt. Um meinetwillen bitte ich Euch, niemandem etwas davon zu sagen." Auf ihrer Stirn erschien eine Zornesfalte. „Aber ...!" Landen versuchte zu grinsen. „Wenn er mich lebend sieht, wird er sich wundern." „Vielleicht versucht er es schon morgen wieder!" „Ich werde auf mich aufpassen." „Ich bin so froh, dass Ihr noch am Leben seid." „Ich auch."
    „Könnt Ihr aufs Pferd steigen?"
    Belustigt schüttelte er den Kopf. „Es stünde mir kaum an, auf dem Pferd des Königs gesehen zu werden. Außerdem wird man Euch schon

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