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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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kurz und rar und es gelang ihm niemals, sie zu treffen.
    Nach und nach drängte sich die verstreichende Zeit zwischen ihre Beziehung. Zu Beginn ihrer Trennung, wenn Landen Torina von weitem sah, warf sie ihm ein verschwörerisches Lächeln zu. Doch schon sechs Monate später sah sie ihn mit gleichgültigen Augen an. Und nach dem ersten Jahr unterschied sich ihr Verhalten ihm gegenüber in nichts von der distanzierten Höflichkeit, mit der sie alle bedachte.
    Sie war jung. Ein Jahr war für sie eine lange Zeit. Doch nicht für Landen. Seine Zuneigung zu ihr erfüllte sein
    Herz mit einem Strahlen, das von Entfernung, Zeit und Missachtung unberührt blieb.
    Große Menschenansammlungen oder Veranstaltungen lagen Landen nicht. Doch er zwang sich, daran teilzunehmen, um womöglich einen Blick auf Torina erhaschen zu können. Bald schon bemerkte er, dass er nicht der Einzige war, der versuchte, der Prinzessin nahe zu kommen.
    Am Anfang dachte er, es sei ein zynischer Zufall, dass er jedesmal, wenn er sich Torina näherte, Vesputo bemerkte. Doch schon bald war ihm klar, dass Vesputo versuchte, die Tochter des Königs zu umgarnen. Eine entsetzliche Vorstellung für Landen.
    Hauptmann Vesputos Einfluss war stetig gewachsen, bis er nach dem König der zweitmächtigste Mann in Archeld war. Eine Zeit des Friedens war angebrochen, die Provinzen lehnten sich nicht mehr gegen Kareeds Vorherrschaft auf. Der Wohlstand gedieh. Vesputo war ein reicher Mann, der alle Privilegien genoss. Wenn er gerade keine Verwaltungsaufgaben für den König erledigte, konnte er frei über seine Zeit verfügen. Das nutzte er, um sich allgemein beliebt zu machen, vor allem bei der Prinzessin.
    Natürlich. Er strebt nach der Krone und durch sie kann er sie erlangen.
    Manchmal besuchte Vesputo Emids Übungsstunden. Dann stand er am Feldrand und beobachtete konzentriert die Jungen, was Landen jedesmal ein Schaudern versetzte. Er dachte an die Grausamkeit, die unter der Oberfläche des Hauptmanns lauerte. Er hätte mich als Sklave behalten und sein Vergnügen daran gefunden. Landen litt, wenn Vesputo sich charmant lächelnd zu Torina beugte. Wenn er sich ehrerbietig und rücksichtsvoll benahm, als läge ihm etwas an ihr. Landen betete, Torina möge klug genug sein, Vesputo zu durchschauen. Aber was wusste sie schon von seiner bösartigen, unmenschlichen Seite? Sie war niemals mit ihm in den Krieg gezogen, war niemals seine Gefangene gewesen. Unter den Kriegern von Archeld war Vesputo eine Legende. Selbst der Staub teile sich vor ihm, hieß es. Noch nie hatte er eine Schlacht verloren. Er wurde mit größter Ehrfurcht behandelt und die Menschen wetteiferten um seine Beachtung. Wie sollte Torina seinen wahren Charakter erkennen?
    Landen verstärkte seine Bemühungen, in ihre Nähe zu kommen und mit ihr zu sprechen. Doch die Monate verstrichen und sie blieb immer unerreichbar. Er überlegte, ob er ihr einen Brief schicken sollte. Aber wenn der in die falschen Hände geriet, konnte das seinen Tod bedeuten.
    Unter großer Gefahr begann er Vesputo nachzuspionieren. Einige Male wurde er beinahe gefasst, konnte seinen Verfolgern jedoch jedesmal entkommen. Mit der Zeit entwickelte Landen eine ungewöhnliche Geschicklichkeit, unbemerkt zu kommen und zu gehen. Manche Kameraden vertrauten ihm ihre Geheimnisse an, er selbst aber behielt seine Geheimnisse beharrlich für sich. Und er entdeckte eine Schwäche Vesputos: Frauen. Der Hauptmann hielt sich immer eine heimliche Geliebte. Andere zu täuschen bereitete ihm Vergnügen. Trotzdem folgten ihm die Männer blind ergeben, viele ahnten nicht einmal, was für eine Art Mann er war. Als ermögliche ihm ein finsterer Zauber, Männer und Frauen gleichermaßen zu hintergehen und gleichzeitig stetig an Macht und Ansehen zu gewinnen.

 
6. Kapitel
     
    An einem klaren Spätnachmittag ritt Torina zu ihrem liebsten Aussichtspunkt hoch in den Felsen und blickte ins Tal hinab. Sie war fünfzehn Jahre alt. Unter ihrem schlichten, grünen Kleid zeichneten sich weich die Wölbungen ihres Körpers ab. Die Farbe unterstrich den Ton ihrer Augen und ihres Haares, das sich noch immer nicht zähmen ließ und ihr in krausen Strähnen über die Schulter fiel.
    Immer wieder erdachte sie sich Ausflüchte, um allein zu sein, doch gelang ihr das nur selten. Heute aber war sie den Anstandsdamen entwischt und ganz allein zu den Felsen geritten.
    Von Weitem erkannte sie Vesputos Helm und Schild. Voll Freude ihn bald wiederzusehen, richtete sie sich

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