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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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bewahrheitete - außer sie selbst verhindert es. Würde sie ihn aufhalten?
    Er dachte an ihr betroffenes Gesicht und zweifelte daran. Vesputo würde die Rolle des verliebten Freiers perfekt spielen.
    Aber wie wollte sie es bewerkstelligen, sich von ihm loszusagen? Würde sie sich wie ein hysterisches Kind aufführen? Und wie würde Kareed reagieren, wenn er zwischen dem zum König auserkorenen Hauptmann und seiner geliebten, aber eigensinnigen Tochter entscheiden soll? Und was ist mit den schlimmen Gerüchte, gegen die ich machtlos bin ?
    Er fühlte sich sehr niedergeschlagen und gab seinem Pferd die Sporen. Langsam ritt er zum Schloss zurück. Unterwegs wurde er von einer Patrouille angehalten und gefragt, ob er die Prinzessin gesehen habe. Nein, antwortete er mit grimmiger Belustigung. Bei Sonnenuntergang erreichte er die Lichtung neben ihrem Garten. Er stieg ab und ließ sich in der Nähe der Beete mit den farbenprächtigen Herbstblumen nieder. Dieser Ort atmete ihr überschäumendes Wesen aus. Die sorgfältig platzierten Steine und die üppig wogenden Farben schufen den Eindruck eines kaum bezähmten, wunderbaren Durcheinanders. Wie ihr Haar, dachte er traurig. Bis spät in den Herbst gediehen hier Blumen, wenn andere Gärten längst im Winterschlaf lagen. Er hörte eilige Schritte und verzog sich unter die angrenzenden Bäume. Das rote Licht der Abendsonne zog sich unheimlich wie eine Blutspur über die Blumenpracht. Torina kam in den Garten gerannt. Sie schluchzte. Beinahe hätte er sich zu erkennen gegeben, als er den Dolch in ihrer Hand erblickte. Sie wendete ihn jedoch nicht gegen sich, sondern begann, ihre geliebten Pflanzen zu zerhacken. Blüten und Blätter wurden zu Fetzen. Wie gelähmt sah Landen zu, wie sie in unbändigem Schmerz ihren Garten zerstörte. Schließlich brach sie zwischen den zerstückelten Pflanzen tränenüberströmt zusammen und wiegte sich hin und her. Sie zog den Kristall hervor und starrte hinein.
    „Warum?", schluchzte sie. „Warum sehe ich nichts?" Sie weiß es. Aber wie? Vesputo würde doch alles tun, um ihre Ängste zu zerstreuen. Außer sie hat die beiden zusammen gesehen. Warum muss ich Zeuge dieses Kummers sein ? Würde sie mich hassen, wenn sie wüsste, dass ich sie beobachte?  Und ich stehe dabei und sehe zu, wie das unschuldige, kleine Mädchen stirbt. Welche neue, wilde Frau wird an seine Stelle treten? Sie blickte immer noch unbeweglich in die Kristallkugel. Dann bemerkte er, wie ihr Gesicht erstarrte. „Nein", hörte er sie sagen, „nein, nein. Nicht sie. Nicht die Großmutter. Bitte, bitte, bitte, nicht die Großmutter. Nicht sie."
    Zitternd erhob sie sich, ein Windstoß wirbelte Blütenfetzen auf. Sie reckte den Arm empor und warf den Kristall in hohem Bogen von sich. Sie achtete nicht darauf, wohin er flog, sondern rannte geradewegs zum Schloss zurück.
    Landen suchte die zerstörten Beete nach dem Kristall ab. Die Dämmerung brach rasch herein. Auf Knien suchte er den Boden ab, doch der Kristall wollte sich ihm nicht zeigen. Kein Funke, kein Glitzern war zu sehen und die Sonne wartete nicht. Bald brach die Dunkelheit herein und es wurde Nacht. Immer noch durchkämmte er die trostlosen, zerschnittenen Blüten und Blätter. Das kostbare Auge der Seherin durfte hier, in den Überresten ihres seit Jahren gehegten Gartens, nicht begraben werden. Verbissen wühlte er weiter im Dunkeln.
    Torina nahm den nächsten Seiteneingang ins Haus. Sie stürmte durch die Flure, ohne auf die geschäftigen Diener zu achten, die ihre Rückkunft melden und die Suchtrupps abberufen würden.
    Doch daran dachte sie jetzt nicht. Sie hatte nur Gedanken für ihre Großmutter.
    Ancillas Gemächer lagen am Ende des Westflügels, wo nichts von der im Hauptteil des Schlosses üblichen, hektischen Geschäftigkeit zu spüren war. Torinas Schritte hallten durch die verlassenen Gängen. Sie eilte zu Ancillas Schlafgemach und huschte hinein. Nur eine einzige Dienerin wartete der alten Königin auf. Diese lag winzig im großen Bett ihrer Vorfahren, die welken Finger über der Brust gefaltet. Die Dienerin blickte von ihrer Handarbeit auf und sah Torina freundlich an.
    „Prinzessin, was ist los?"
    „Ich muss mit meiner Großmutter allein sein. Bitte geht hinaus."
    Gleichmütig suchte die Dienerin ihr Nähzeug zusammen und ging, während Torina sich auf das Bett setzte und sich voller Sorge über ihre Großmutter beugte. „Warum ist meine Mutter nicht bei Euch? Und der König - habt Ihr nach ihm

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