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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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auf seine Behändigkeit und sein Geschick verließ. Die Zuschauer waren außer sich vor Begeisterung und begleiteten jeden blinden Schlag und jedes gewagte Ausweichen mit fanatischem Geschrei. Die Kämpfer stießen kalte Atemwolken aus und ihre verschwitzten Körper glänzten in der kühlen Luft. König Ardesen beugte sich über die Brüstung. Jedes Mal, wenn Andris das Schwert schwang, spürte der König die Gewalt, die auf den Gegner niedersauste. Doch Bellanes wich den Schlägen immer wieder mit einer Geschicklichkeit aus, die den geschulten Kämpfer verriet.
    Schließlich parierte Bellanes einen wütenden Schlag seines Gegners mit einer Drehung und einem Gegenschlag, worauf das Schwert des anderen etwa zwanzig Meter weiter klirrend zu Boden fiel. Bellanes nutzte seinen Vorteil und Augenblicke später lag Andris am Boden, eine Schwertspitze an der Kehle.
    Andris schloss die Augen. Bellanes fing an zu sprechen. „Schau in den Himmel", sagte er ruhig. Der König konnte ihn kaum verstehen.
    In Erwartung seines Todes öffnete der Schurke die Augen.
    „Sag mir, wie du heißt", befahl Bellanes.
    Von seinem Platz aus sah Ardesen, dass sich die Augen
    des Diebes mit Tränen füllten. „Andris", stammelte der
    Mann.
    „Andris, du hast dich gut geschlagen. Und weil du zum Himmel schautest, will ich dich verschonen. Der Kampf ist vorbei."
    Bellanes erhob die klare Stimme und verkündete: „Der Kampf ist vorbei. Der Mann bleibt am Leben!" Er zog sein Schwert zurück. Wachen eilten herbei und führten Andris ab, der über seine Schulter zu Bellanes schaute. Der Sieger erwiderte seinen Blick, in seinen entschlossenen Zügen zeichnete sich Barmherzigkeit ab.
    König Ardesen sah Bellanes entgegen, der schweißüberströmt die Stufen des Rundbaus erklomm. „Er ist also Bellanes", sagte Ardesen und sah ihn prüfend an. „Herr."
    Ardesen fiel auf, dass der junge Krieger nicht den Blick senkte. Der Mann sah ihn an wie einen Gleichen. Er musste innerlich lächeln, nach außen jedoch behielt er seine strenge Miene.
    „Sagt, wusstet Ihr, dass Andris der Dieb ungeheuer stark ist?", wollte der König wissen. Ja. Ich bin doch kein Narr."
    „Kein Narr! Ist es nicht närrisch, sein Leben für nichts als den sportlichen Sieg aufs Spiel zu setzen?" „Er ist sehr stark. Aber er kann nichts, außer mit dem Schwert klotzen."
    „Heißt das, er war kein ebenbürtiger Gegner für Euch? Ich habe genau zugeschaut, Bellanes. Hätte ein Streich Euch getroffen, wärt Ihr ein toter Mann. Und töten wollte er Euch." „Sicher."
    Ihr habt großes Vertrauen in Euer Können." „Und viele Gelegenheiten es zu erproben." „In den Todeskämpfen? Ihr habt den Schurken nicht getötet, Bellanes. Warum?"
    Der Kämpfer wirkte verlegen. „Es sind Männer Eures Reiches. Sie tragen keine Rüstung." Seine Stimme klang eindringlich und klar. Ardesen versuchte, die Aussprache zu lokalisieren und war sich sicher, dass sie nicht von Guelhan stammte.
    „Meines Reiches!", murrte Ardesen. „Ist es nicht auch das Eure?"
    „Sicher, auch mein Land. Aber noch mehr Euer Land." Ardesens Augen verengten sich zu Schlitzen. „Wirklich?", erwiderte er trocken. „Ihr wisst, welcher Preis für den Tod dieser Schurken ausgesetzt ist. Ihr könntet ein reicher Mann sein, so viele habt Ihr schon besiegt. Und doch verschont Ihr sie und überlasst sie ihrer Fronarbeit in den Gefängnissen. Warum tötet Ihr sie nicht und kassiert Eure Belohnung?"
    „Ich erbitte eine andere Art von Belohnung", sagte Bellanes.
    Ha! Jetzt kommen wir zur Sache. „Sprecht." Der König verbarg seine Neugier hinter einer Maske finsterer Strenge. „Gebt mir die Männer, die ich besiegt habe, und ich mache aus ihnen treue Gefolgsleute."
    Ardesen schnaubte: „Unmöglich! Diese Männer sind Ausgestoßene, Verbrecher! Diebe und Mörder." Jeder Mensch kann sich ändern."
    „Ihr bittet um Befehlsgewalt? Über Verbrecher? Woher kommt Ihr, Bellanes?"
    „Und erteilt Ihr mir Befehlsgewalt, Herr, werden meine Männer und ich von großem Wert für Euch sein." Der König vermutete, Bellanes würde ihm nicht verraten, woher er wirklich kam. Nicht jetzt - und selbst nicht, wenn sie zwanzig Jahre Seite an Seite gekämpft hätten - niemals. Dieser Krieger nannte sich wertvoll und Ardesen glaubte ihm. Und es war nicht des Königs Art, unbedingt nach der Herkunft zu fragen, wenn ihm ein Edelstein ins Schatzkästlein fiel. „Wärt Ihr nicht ein so guter Kämpfer, würde ich Euch Träumer nennen."
    „Würdet Ihr nie

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