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Das Auge der Seherin

Das Auge der Seherin

Titel: Das Auge der Seherin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Victoria Hanley
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König?"
    Ja. Bellanes." Der König runzelte die Stirn. „Er nimmt an den Wettkämpfen teil und hält sich nicht an die Regeln."
    „So ist es, er kämpft bis zum Sieg und dann schenkt er
    den Schurken das Leben."
    „Und geht arm wie er gekommen ist."
    Ja, mein Herr."
    „Die Menschen strömen wieder in Massen, selbst im
    Winter. Meine Truhen füllen sich mit einer ansehnlichen Menge Münzen."
    „Sie beten ihn an. Sie versammeln sich vor seinem Quartier, nur um einen Blick auf ihn werfen zu können, obgleich ihnen verboten ist, unser Gelände zu betreten." „Hm. Heldenverehrung? Wie reagiert er?" „Es hat den Anschein, als verabscheue er es. Er verrichtet seinen Dienst wie immer." „Sagt, wie ist er im Dienst?" „Sehr gewissenhaft."
    Ardesen grinste verhalten, weil Hadnell das ,Herr' vergessen hatte. Dieser sah aus, als habe sich ein einfacher Tonkrug, aus dem er täglich trank, plötzlich in einen heiligen Kelch verwandelt.
    „Wie viele Verbrecher hat er besiegt und verschont?" „Vierzehn, mein Herr."
    Ardesen schürzte die Lippen. „Vierzehn Männer. Dieser Bellanes könnte reich sein. Und die Gefangenen werden, wie es das Gesetz will, zu verkürzter Haft in den Kerker zurückgebracht?" Ja, mein Herr."
    „Dieser Bellanes - ist er unbesiegbar?" „Ein ausgezeichneter Kämpfer, mein Herr." Ardesen legte die Fingerspitzen zusammen. „Warum macht er das?"
    Hadnell zuckte die Achseln. „Das sagt er nicht, mein Herr."
    „Wisst Ihr, woher der junge Mann kommt?" „Aus Guelhan, mein Herr." „Aha. Eltern?" „Beide tot, Herr." „Freunde?"
    „Die Kameraden mögen ihn, Herr." „Wer lehrte ihn kämpfen?"
    Hadnell wagte ein Lächeln. „Er sagt, er sei bei einem rohen Kerl in die Schule gegangen, Herr." Ardesen gestattete sich ein Lächeln. „Was sagt er sonst?" „Nicht viel, Herr. Er ist ein stiller Mann." Der König streckte seine Füße zum Feuer aus. „Morgen gibt es einen Kampf zwischen Bellanes und Andris dem Dieb."
    ,Ja, Herr. Andris ist ein berüchtigter Schurke. Er stahl viele Pferde, bis er endlich geschnappt wurde." „Und ist er auch ein guter Kämpfer?" Ja, Herr."
    „Ich werde in der Königsloge sein. Danke, Hauptmann." Er bedeutete ihm zu gehen.
    Ardesen liebte das Ungewöhnliche und regierte sein Reich mit viel Sinn für Neues. Von den Menschen seiner Umgebung erwartete er Einfallsreichtum, doch meist traf er nur auf Unterwürfigkeit, die ihn erzürnte. Manchmal fand er Männer und Frauen, die ihm jahrelang treue Dienste geleistet hatten. Das wurde stets von ihm belohnt. Aber oft bedauerte er den Mangel an ungewöhnlichen Ideen.
    Dieser Bellanes war ein Mann von anderem Schlag. Sich auf den Tod schlagen und dann das Siegergold zu Gunsten eines Gnadenaktes verschmähen, war ein kühnes Stück. Sein Leben für Nichts aufs Spiel setzen? Das roch nach Verzweiflungstat. Ich frage mich, was er beabsichtigt.
    König Ardesen war sicher, dass Bellanes etwas beabsichtigte.
    In Lederrüstung, das blanke Schwert in der Hand, stand Bellanes in der runden Arena. Rings um ihn zogen sich die Zuschauerreihen wie die Wände einer Schüssel nach oben. Ein kalter, grauer Himmel wölbte sich über den Schaulustigen, die in warmen Mänteln dasaßen und ihm zujubelten.
    Ardesen hatte von der Königsloge aus eine gute Sicht über den Kampfplatz. Mit verschränkten Armen beobachtete er konzentriert den Kämpfer. Bellanes hatte ein fremdartiges Gesicht, sein schwarzes Haar war dicht und lockig, sein durchtrainierter Körper wirkte locker, seine Hand am Schwertgriff beinahe entspannt. Doch sein Blick war aufmerksam. Einen Augenblick lang trafen sich Bellanes' Blick und der des Königs. Ardesens Neugier bekam Nahrung, denn die Augen des Mannes waren entschieden zu alt und zu traurig für seine offensichtliche Jugend.
    Andris der Dieb erschien. Er trug nur einen Lendenschurz wie alle Gefangenen. Er war ein Bulle von einem Mann, einen halben Kopf größer als Bellanes und einige
    Jahre älter. Er maß seinen Gegner mit wütenden Blicken und sprang in die Arena.
    Der Gefangene erhob sein Schwert und stürmte vor. Bellanes duckte sich zur Seite und wich dem Schlag aus, der für ihn tödlich gewesen wäre. Blitzschnell wirbelte Andris herum und holte brüllend zu einem neuen Schlag aus. Bellanes sprang vor. Auf der nackten Haut des Diebes zeichnete sich eine rote Linie ab. Die Menge brach in aufgeregtes Rufen aus.
    In dieser Art ging der Kampf weiter. Der Größere schlug mit schierer Kraft um sich, während Bellanes sich

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