Das Auge der Ueberwelt
richtig: eine kleine Vorrichtung, die schon viel Freude gebracht hat!« Und Voynod stellte eine Puppe zur Schau, die eine heroische Deklamation von sich gab, ein liederliches Lied sang und schlagfertige Antworten geben konnte, wenn man sich auf ein Gespräch mit ihr einließ. Schließlich wurde Voynod der Schaustellung überdrüssig, und die Pilger legten sich einer nach dem anderen schlafen.
Cugel lag wach, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, starrte zu den Sternen auf und dachte an Voynods unerwartet große Sammlung thaumaturgischer Instrumente und Vorrichtungen.
Als er sich vergewissert hatte, daß alle schliefen, erhob er sich verstohlen und untersuchte Voynods schlafende Gestalt. Der Beutel mit den interessanten Artikeln war fest verschnürt und unter Voynods Arm gesteckt, wie Cugel erwartet hatte. Er ging zu dem kleinen Bretterverschlag, wo die Vorräte verwahrt wurden, und nahm ein wenig Schweineschmalz, das er mit Mehl zu einer weißen Salbe vermischte. Aus einem Fetzen dicken Papiers faltete er eine kleine Schachtel, die er mit der Salbe füllte. Dann kehrte er zu seinem Lager zurück.
Am folgenden Morgen richtete er es so ein, daß Voynod ihn wie durch Zufall die Degenklinge mit der Salbe einreiben sah. Der Zauberer war entsetzt. »Das kann nicht sein! Ich bin erschüttert! O weh, armer Lodermulch!«
Cugel signalisierte ihm, still zu sein. »Was reden Sie da?« stieß er Hervor. »Ich schütze meinen Degen bloß gegen Rost.«
Voynod schüttelte den Kopf mit Entschiedenheit. »Alles ist klar! Um eines schnöden Gewinns willen haben Sie Lodermulch ermordet! Ich habe keine andere Wahl, als in Erze Damath die Diebesfänger zu verständigen!«
Cugel machte eine beschwörende Geste. »Überstürzen Sie nichts! Sie haben alles mißverstanden; ich bin unschuldig!«
Voynod, ein großer, melancholischer Mann mit langem Kinn und hoher Stirn, hob abwehrend die Rechte. »Ich habe Mord niemals geduldet. In diesem Fall muß das Prinzip der gerechten Vergeltung angewendet werden. Es geht jedenfalls nicht an, daß der Übeltäter von seiner Tat profitiert!«
»Sie meinen die Salbe?« fragte Cugel.
»Genau«, erwiderte Voynod. »Es ist das mindeste, was die Gerechtigkeit verlangt.«
»Sie sind ein strenger Herr«, rief Cugel bekümmert. »Aber mir bleibt keine Wahl, als mich Ihrem Urteil zu unterwerfen.«
Voynod streckte die Hand aus. »Also her mit der Salbe, und da Sie offensichtlich von Reue überwältigt sind, wollen wir nicht weiter davon reden.«
Cugel spitzte nachdenklich die Lippen. »So sei es. Ich habe meinen Degen bereits gesalbt. Darum werde ich den Rest der Salbe im Austausch gegen Ihr erotisierendes Amulett und mehrere geringere Talismane hergeben.«
»Höre ich richtig?« entrüstete sich Voynod. »Ihre Frechheit kennt keine Grenzen! Dieses sicher wirkende Amulett ist von unschätzbarem Wert!«
Cugel zuckte die Achseln. »Auch diese Salbe ist keineswegs ein gewöhnlicher Handelsartikel.«
Nach längerem Hin und Her gab Cugel ihm die Salbe für ein Rohr, das auf eine Distanz von fünfzig Schritten blaues Konzentrat projizierte, zusammen mit einer Schriftrolle, die achtzehn Phasen des laganetischen Zyklus aufführte; und mit diesen Gegenständen mußte er sich zufriedengeben.
Nicht viel später kamen am westlichen Ufer die ersten Ruinen von Erze Damath in Sicht: altertümliche Villen, jetzt eingestürzt und verloren zwischen verwachsenen Gärten. Die Pilger drückten das Floß mit Stangen zum Ufer. In der Ferne erschien die Spitze des schwarzen Obelisken, und ihr Anblick versetzte die Reisenden in freudige Erregung. Das Floß wurde an einer der zerfallenden alten Anlegebrücken festgemacht.
Die Pilger versammelten sich um Garstang, der eine kurze Ansprache hielt. »Seht Freunde, die heilige Stadt, wo Gilfig das gneustische Dogma verkündete, wo er Kazue geißelte und die Hexe Enxis anprangerte! Nicht ausgeschlossen, daß die geheiligten Füße diesen Flecken Erde, auf dem wir versammelt sind, betreten haben!« Garstang machte eine dramatische Geste zum Boden, und die Pilger blickten vor sich auf die Erde und scharrten unbehaglich mit den Füßen. »Sei dem, wie es wolle, wir sind hier, und jeder von uns muß Erleichterung verspüren. Die Reise war lang und nicht ohne Gefahr. Neunundfünfzig waren wir, als wir das Tal des Pholgus verließen. Bamisch und Randol fielen wilden Unholden zum Opfer; bei der Brücke über den Asc schloß sich Cugel uns an; auf dem Skamander verloren wir Lodermulch.
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