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Das Auge der Ueberwelt

Das Auge der Ueberwelt

Titel: Das Auge der Ueberwelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Vance
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die Hände. »Beruhigt euch, Freunde!« rief er mit fester Stimme, »die Unregelmäßigkeit ist vergangen!«
    »Denkt!« rief Subucule mit dem eindringlichen Ernst eines Predigers. »Würde Gilfig diese Katastrophe geschehen lassen, während wir unterwegs sind, um ihn am schwarzen Obelisken zu verehren?«
    Die Pilgergruppe wurde still und nachdenklich, obgleich jeder seine persönliche Interpretation des Phänomens hatte. Vitz meinte, es sei überhaupt nur eine atmosphärische Trübung gewesen, etwa eine in großer Höhe ziehende Staubwolke. Voynod erklärte: »Wenn in Erze Damath alles gutgeht, will ich die nächsten vier Jahre meines Lebens einem Plan zur Wiederherstellung der Sonnenenergie widmen!« Lodermulch beschränkte sich auf die anstoßerregende Feststellung, daß die Sonne von ihm aus erlöschen könne.
    Aber die Sonne schien weiter wie zuvor. Das Floß trieb den breiten Skamander hinab, dessen Ufer jetzt so niedrig und von Vegetation entblößt waren, daß sie wie entfernte dunkle Linien aussahen. Der Tag verging, und die Sonne schien im Fluß zu versinken, wobei sie eine gewaltige blutrote und bräunliche Glutbahn projizierte, die mit dem Verschwinden der Sonne allmählich stumpf und dunkel wurde.
    Im Zwielicht wurde ein Feuer entzündet, um das die Pilger sich zum Abendessen versammelten. Es gab Diskussionen um das alarmierende Flackern der Sonne, und die Spekulationen gingen ausnahmslos in eschatologische Richtung.
    Am nächsten Morgen wurde voraus ein großes Wehr gesichtet: eine lange Reihe starker Pfähle zur Verhinderung der Schiffahrt auf dem Fluß. Nur an einer Stelle war die Durchfahrt möglich, und selbst diese Lücke war mit einer schweren Eisenkette gesperrt. Die Pilger ließen das Floß nahe an diese Lücke heranfahren, dann warfen sie den schweren Stein über Bord, der als Heckanker diente. Aus einer Hütte am Ufer kam ein langhaariger, magerer Mensch in zerfetzten schwarzen Kleidern, der eine Eisenstange schwang. Er sprang von Pfahl zu Pfahl die Sperre entlang und starrte mit drohend funkelndem Blick auf die Floßfahrer herab. »Kehrt um!« rief er. »Die Durchfahrt ist unter meiner Kontrolle; ich lasse keinen vorbei!«
    Garstang trat vorwärts. »Ich bitte um Ihre Nachsicht! Wir sind eine Gruppe von Pilgern, die nach Erze Damath wollen. Wenn nötig, sind wir bereit, eine Weggebühr zu entrichten, obwohl wir darauf vertrauen, daß Sie uns diesen Zoll in Ihrer Großzügigkeit erlassen werden.«
    Der seltsame Mann stieß ein rauhes Gelächter aus und fuchtelte mit seiner Eisenstange. »Meine Gebühr wird nicht erlassen! Ich verlange das Leben des Schlechtesten unter euch – es sei denn, einer von euch kann seine Tugend zu meiner Befriedigung demonstrieren!« Er blieb mit gespreizten Beinen neben der Verankerung seiner Sperrkette stehen und starrte finster auf die Flößer herab.
    Unter den Pilgern regte sich Unbehagen, und alle blickten verstohlen einander an. Ein Gemurmel begann, das bald zu einem Stimmengewirr von Erklärungen und Behauptungen anschwoll. Casmyrs durchdringendes Organ verschaffte sich Gehör mit: »Ich kann unmöglich der Schlechteste sein! Mein Leben war immer friedfertig und bescheiden.«
    Ein anderer rief: »Ich bin noch tugendhafter, denn ich esse nur getrocknete Hülsenfrüchte.«
    Ein weiterer: »Meine Tugend ist noch größer als die seine, denn ich erhalte mich allein von den weggeworfenen Schalen dieser Hülsenfrüchte und von abgefallener Borke, um nicht einmal pflanzliches Leben zu zerstören.«
    Cugel erklärte: »Mein Leben ist eine unaufhörliche Demütigung, und ich bin unentwegt um Gerechtigkeit und Ausgleich bemüht, obwohl es mir nur Nachteile und neue Erniedrigungen bringt.«
    Voynod war nicht weniger fest: »Ich bin ein Zauberer, gewiß, aber ich widme meine Geschicklichkeit nur dem Wohl meiner Mitmenschen.«
    Nun war Garstang an der Reihe: »Meine Tugend ist die Quintessenz aller Tugenden, denn sie erwächst aus der Gelehrsamkeit und Weisheit des Alters. Wie könnte ich anders als tugendhaft sein?«
    Schließlich hatten alle gesprochen, ausgenommen Lodermulch, der sich abseits hielt, ein säuerliches Lächeln im Gesicht. Voynod zeigte mit dem Finger auf ihn. »Sprechen Sie, Lodermulch! Beweisen Sie Ihre Tugend, oder seien Sie gewärtig, als der Schlechteste gerichtet zu werden, was den Verlust Ihres Lebens zur Folge haben wird!«
    Lodermulch lachte. Er wandte sich um und sprang mit einem mächtigen Satz auf einen Querbalken des Wehrs. Er kletterte auf

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