Das Auge des Basilisken
anzog.
Ungefähr so.
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NEUNZEHN
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Sein Büro hatte die Auskunft erteilt, daß Theodor in einem Wirtshaus in der George Row anzutreffen sein würde, ganz in der Nähe des früheren Landratsamtes, das auch heute noch Sitz der Zivilverwaltung war. Obwohl die Straße nur ein paar hundert Meter lang war, hatte Alexander Mühe, das Lokal zu finden. Endlich fiel ihm auf, daß zwei Männer gerade dabei waren, das Wirtshausschild auszuwechseln; vom Marschall Gretschko verwandelte sich das Lokal in den Jolly Englishman, was einem phantasievollen und kühnen Streich gleichkam, weil die Namensänderung von den Behörden noch nicht in aller Form genehmigt worden war. Lauter Gesang drang aus dem Inneren, rauh und mit vielen falschen Tönen, aber vielleicht gerade darum unnatürlich klingend, gezwungen, wie proletarisch-betrunkener Gesang in einem alten Film. Wenigstens mochte es einem Engländer aus der Zeit vor sechzig oder mehr Jahren so vorgekommen sein. Alexander sagte er überhaupt nichts.
»Lebet wohl, denn ich muß von euch scheiden,
Möchtet nicht an diesem Abschied leiden,
Doch Trennung ist nicht unser Freundschaft Ende
So gebt mir, liebe Freunde, nun die Hände,
Ich kann nicht länger stehn und seufzen,
Häng meine Harfe …«
Er warf Pollys Zügel einem Arbeiter mittleren Alters zu, der vielleicht stehengeblieben war, um diesem Gesang zu lauschen, und betrat das Wirtshaus.
Durch eine Wolke von Tabakrauch gewann er einen flüchtigen Eindruck von Männern in karierten Hemden und Halstüchern mit Bierkrügen in den Händen, die auf harten Stühlen um ein Klavier saßen. Theodor, der der Klavierspieler war, blickte erschrocken auf und kam herüber, sobald der Refrain geendet hatte.
»Was ist los?«
»Sei still! Komm mit!«
Nach einem langen Blick wandte Theodor sich zurück und rief zu einem jungen Mann, der beim Klavier stand: »Mach weiter, Henry! Wenn du durch bist, fang wieder von vorn an! Vergeßt nicht die Beifallsrufe und den Applaus! Wahrscheinlich werde ich zurücksein, ehe ihr fertig seid.«
»In Ordnung, Herr Iwanow. Was ist mit den Geschichten?«
»Damit befassen wir uns morgen früh.«
Als sie draußen waren, sagte Theodor: »Wozu die Eile? Wir wollten uns sowieso in weniger als einer Stunde treffen.«
»Es kann nicht warten«, sagte Alexander. »Nicht stehen bleiben.«
»Was ist mit deinem Pferd? Ist das dein Pferd?«
»Ich habe es nicht vergessen. Hier.«
Das Blatt Papier, das er ihm reichte, trug die blaßroten diagonalen Linien, die für alle Arten von Vervielfältigungen vorgeschrieben waren, die andernfalls von einem Original nicht unterscheidbar gewesen wären. Der Anfang des Textes lautete:
SICHERHEITSHAUPTAMT, DIREKTION DER 88. SICHERHEITSABTEILUNG, DYCHURCH LANE, NORTHAMPTON (RATHAUS), ENGLAND SICHERHEITSBEAUFTRAGTE IM EINSATZ PER 1. SEPTEMBER 2035 IN DER REIHENFOLGE DES DIENSTALTERS:
1. Gen.Ob. V.S. Alksnis (›Michael Mets‹)
2. Brig.Gen. I. Klujew (›Aram Sevadian‹)
3. Obst.Lt. Y.N. Tschernjawin …
Das genügte Theodor einstweilen. Als sein Blick auf den ersten Namen oder vielmehr das erste Pseudonym gefallen war, war er wie vom Donner gerührt stehen geblieben; ein kleiner Mann mit Brille und einem schmierigem Paket unter dem Arm war auf ihn geprallt, entschuldigte sich überschwenglich und blieb bei alledem unbeachtet. Alexander sah, daß in der kurzen Zeit, seit er den Jolly Englishman betreten hatte, Wolken aufgezogen waren und die Sonne verdeckten. Die Straßen waren schmutzig und mit Papier und Abfällen übersät; alle paar Meter fehlten Pflastersteine, und die entstandenen Schlaglöcher waren mit Schutt ausgebessert worden, der von den durchfahrenden Fahrzeugen über die Straßendecke verteilt worden war. Die meisten Passanten strebten allein ihren Wohnungen zu, die Köpfe gesenkt, schweigsam, ohne nach links oder rechts zu sehen. Alles war normal.
»Komm mit!« sagte Alexander.
»Wohin gehen wir?«
»Wir gehen nirgendwohin. Wir gehen spazieren. Bleiben unter den Passanten. Wahrscheinlich ist es so am wenigsten gefährlich. Ist Mets nicht unser Führer?«
»Ich weiß es nicht mit Sicherheit, aber ich vermute es sehr. Nina und ich sprachen am Abend unserer Verlobung in eurem Garten mit ihm. Ich dachte, er sei angeheitert, und Nina meinte, er fürchte sich.«
»Und?«
»Würdest du dich nicht fürchten, wenn du eine wichtige Stellung unter Vanag hättest?«
»Natürlich würde ich mich fürchten«, sagte Alexander ein
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