Das Auge des Basilisken
Aber Lomow stieß einen Laut aus, der wie ein unterdrückter Schrei war.
Alexander fuhr wütend auf ihn los. »Was ist los, Sie Trottel, Sie Nachtwächter? Was haben Sie diesmal gesehen? Hitlers Geist?«
»Habe ich nicht gesehen, zu Befehl, Herr Fähnrich. Ich habe nichts gesehen.«
»Freilich hast du nichts gesehen«, sagte Ljubimow freundlich. »Das wissen wir. Du hast bloß geglaubt, du hättest was gesehen, das ist alles.«
»Ja, es war ein Fehler. Ich … habe mich geirrt.«
»Schon gut, es reicht, wenn du es einmal sagst.«
Lomow nickte, entkrampfte die Hände und richtete sich mit großer Anstrengung zu seiner ganzen wenig eindrucksvollen Höhe auf. Nichts Gutes konnte davon kommen, wenn er zu enträtseln suchte, was er in der letzten Stunde gesehen oder nicht gesehen haben konnte. Die Bilder, die ihm erschienen waren, hatten – zu keiner Zeit sehr deutlich – bereits angefangen zu verblassen, und was auch immer bevorstand, davon war er überzeugt, würde seine ganze Aufmerksamkeit und Befähigung erfordern. Er schluckte, seufzte tief, nahm die Mütze ab, fuhr sich übers Haar und setzte die Mütze wieder auf. Sein Offizier ging gerade zu Fuß um die Ecke der Kirche. Der Mann im dunklen Anzug war nirgendwo zu sehen. Der Himmel war einstweilen zur Ruhe gekommen und war drüben im Westen sogar ein wenig heller geworden.
Nachdem Ljubimow seinen Kameraden mit einem forschenden Blick gemustert hatte, sagte er:
»Ich könnte ein Bier vertragen. Wenn wir schon warten müssen, könnte ich wenigstens Platz dafür machen.«
Er reichte Lomow die Zügel der drei Reitpferde, ging auf den Friedhof und urinierte; es auf offener Straße zu tun, war ein Verstoß gegen die Vorschriften.
»Wo sind wir hier, Ljubimow?«
»Keine Ahnung. Nein, Moment mal, wenn wir da sind, wo ich glaube, dann muß hinter diesem irgendwo das Haus seines Alten sein. Du weißt, er ist eine große Nummer in der Verwaltung hier.«
»Natürlich«, sagte Lomow nachdenklich. »Ich glaube, er hat ein …«
Später pflegte er Stein und Bein zu schwören, er habe den gewaltigen, säulendicken Blitzstrahl über und hinter der Kirche erscheinen gesehen, konnte sich aber nicht schlüssig werden, ob es mit einem Knattern oder einem Zischen geschehen war. Als es geschah, drückte er im Reflex die Augen zu und zuckte unter der gewaltigen Detonation zusammen, die unmittelbar darauf erfolgte und ihn und alles ringsum zu durchdringen schien. Die Pferde wieherten, bäumten sich auf und rissen ihn hin und her. Ljubimow, noch mit dem Ordnen seiner Hose beschäftigt, eilte ihm zu Hilfe.
»Das war nahe«, sagte er.
Für Alexander war es noch näher gewesen. Er hatte gerade den kleinen Tempel passiert, als der Blitzstrahl mit betäubender Plötzlichkeit in das Blitzableitersystem des Herrenhauses fuhr. Enorme Funken sprühten in alle Richtungen, und die Luft wurde zusammengepreßt und schleuderte ihn mit ihrer Druckwelle zu Boden. Er fiel ins Gras und blieb unverletzt, lag aber ein paar Minuten benommen und geblendet und betäubt. Stechender Ozongeruch war überall. Endlich rappelte er sich mühsam auf.
Im Salon waren die Lichter an, aber die Vorhänge waren zugezogen und die Fenster in jedem Fall zu hoch über dem Boden, als daß er ins Innere hätte sehen können. Diese Angelegenheit mußte so bald wie möglich erledigt werden; schon so hatte er den Zeitablauf unterschätzt und würde den Treffpunkt, wo er sich mit Theodor und den anderen verabredet hatte, verspätet erreichen. – Wenn sie kämen. So leise wie möglich erstieg er die Stufen, ging hinein und kam in die kleine Eingangshalle. Sein Blick fiel auf das alte bemalte Fenster, und er fragte sich (nicht zum ersten Mal), wie jener andere Alexander das Unternehmen beurteilt haben würde, auf das er sich eingelassen hatte, und sofort sah er ganz klar, so klar, daß er nicht verstehen konnte, wie es ihm bisher hatte entgehen können, daß all seine Gefühle in dieser Angelegenheit Hirngespinste waren, daß er und der tote Engländer nicht nur durch die Zeit, sondern auch durch einen weitere, ebenso unüberwindliche Barriere getrennt waren, eine geistige und moralische Barriere, und daß ihr gemeinsamer Name lediglich das Ergebnis eines kümmerlichen, bedeutungslosen Zufalls war. Wie konnte er jemals etwas anderes darin gesehen haben?
Sergej Petrowsky saß in seinem hochlehnigen karelischen Lehnstuhl, sehr elegant in Tweedhosen, gelbem Kaschmirpullover und hellgrünen Wildlederschuhen. Er war
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