Das Auge des Basilisken
wurde in einen langen, schmalen Raum eingelassen, der die ganze Tiefe des Hauses einnahm und am anderen Ende einen Fenstererker hatte. Als er eintrat, standen zwei Männer, die dort beisammen gesessen hatten, ohne Dienstfertigkeit auf und wandten sich ihm zu. Mit einer Verärgerung, die er zu verbergen suchte, erkannte er Dr. Wright; was vor ihm lag, versprach schon ohne eine solche Flankenbedrohung schwierig genug zu werden. Er enthob ihnen einen guten Abend, wiederum auf russisch, eine Wahl, die Wright überraschte und beinahe einen Funken von Respekt in ihm entflammt hätte.
»Bitte bleiben Sie sitzen«, fuhr Alexander fort. »Es ist nett von Ihnen, daß Sie sich zu diesem Gespräch bereiterklärt haben, Reverend. Es wird nicht lang dauern.«
»Was sagt er?« fragte Glover.
»Nur Höflichkeiten.« Zu Alexander gewandt, sagte Wright: »Sagen Sie, was Sie auf dem Herzen haben, und sprechen Sie langsam und deutlich; sein Russisch ist nicht sehr gut.«
»Sehr gut. – Dr. Wright wird Ihnen gesagt haben, warum ich hier bin, Reverend. Darf ich fragen, wie Sie zu einer Teilnahme an dem Festival stehen, von dem er Ihnen auch berichtet haben wird?«
»Genauso, wie ich zu allem stehe, was Sie und Ihre Landsleute von mir fordern.« Glover sprach mit schwerem Akzent und geriet immer wieder ins Stocken, weil er nach Worten suchen mußte. »Wenn ich Ihnen widerstehen kann, werde ich es tun.«
»Ich bedauere das zu hören. Es trifft zu, daß wir in der Lage sind, Ihre Kooperation zu verlangen und notfalls zu erzwingen. Aber es geht hier nicht um unsere Forderungen und Ihre Verweigerung oder Nicht-Verweigerung. Was wir wünschen, wird auch für Ihre Landsleute von bedeutendem Nutzen sein, und Sie sind einer der wenigen, die es ihnen vermitteln können.«
»Was wissen Sie von diesem ›es‹, das ich meinen Landsleuten vermitteln kann?«
»Aus erster Hand natürlich nichts, aber befinde ich mich im Irrtum, wenn ich es für bedeutend halte?«
»Sie haben kein … Sie wissen nicht, was Bedeutung ist. Oder Wahrheit. Ihr Russen habt einfach ein unbehagliches Gefühl, weil ihr uns unsere Kultur und Religion weggenommen habt.«
»Vielleicht meinen Sie ein unruhiges Gewissen. Das wäre eine ausgezeichnete Beschreibung.«
»Warum dabei stehen bleiben? Warum nicht anfangen, uns unsere Geschichte zurückzugeben? Die Wegnahme unserer Güter war ein ebenso schweres Verbrechen wie die Wegnahme unserer Kirchen. Bis zum Jahr vor Ihrer Besetzung waren wir noch frei. Wir wählten unsere Regierungen und wählten sie wieder ab, wenn sie unbefriedigend waren; innerhalb gewisser Grenzen konnten wir sagen und schreiben, was wir wollten, die Gerichtshöfe waren unabhängig, wir konnten kommen und gehen … Und wir hatten für unsere Freiheit gekämpft, immer und immer wieder. Das Wissen darum mußten Sie wegnehmen, weil unser Nationalstolz darin verwurzelt war. Es wird jetzt nicht mehr sehr lange dauern, bis niemand mehr weiß, wie wir mehr als ein Jahr lang allein gegen Hitler standen, wie Ihr kostbares Vaterland besiegt worden wäre, wenn nicht wir und die Amerikaner geholfen hätten. Sie selbst kennen nicht einmal die bloße Tatsache, daß wir und die Amerikaner 1944 in Westeuropa eingedrungen sind … Ich weiß es, weil mein Großvater dabei war, in einer Stadt namens Arnheim. Sie wissen nicht einmal, wie wir uns wehrten. Sie glauben, es sei alles in drei Tagen vorüber gewesen, Sie armer, unwissender, analphabetischer, desinteressierter Nichtswisser …«
Der alte Mann sagte noch einiges mehr in demselben Sinne. Alexander lauschte respektvoll, oder vielmehr mit einer Schaustellung von Respekt. Sein Englisch war gut genug, daß er den allgemeinen Sinn dessen verstand, was die fistelnde Greisenstimme haßerfüllt hervorkeuchte, außerdem war er vertraut mit dem Material, insbesondere dem Teil über die ›Invasion‹ von 1944, wie der übliche Vorkriegsbegriff lautete, überraschend hochtrabend für einen Überfall auf eine nicht sehr bedeutende Hafenstadt, berücksichtigte man die allgemeine englische Tendenz zur Untertreibung. Wie der Rest seines Gefasels – dem Gerede von frei gewählten Regierungen, während man nur die Wahl zwischen zwei Garnituren von Kapitalistenknechten gehabt hatte, von Pressefreiheit, während die Presse dem Kapital gehört hatte, von Bewegungsfreiheit, die für die meisten tatsächlich nichts anderes bedeutet hatte als ungehinderten Zugang zu jedem Slum oder ethnischen Ghetto – war es ein tröstlicher
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