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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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verarbeitet, um nicht aus der Zeit vor der Pazifizierung zu stammen. Er trug sorgfältig gebügelte graue Flanellhosen, ein kariertes Hemd mit offenem Kragen – keinen Klerikerkragen, schon seit fünfzig Jahren nicht mehr – und eine marineblaue Wollweste, die seine Enkelin gestrickt hatte. Sein Gesichtsausdruck kündete von einer leisen, aber festgefügten Verachtung für alles, was außerhalb seiner unmittelbaren Umgebung war.
    »Was werden Sie zu diesem Burschen sagen?« fragte Wright mit erhobener Stimme.
    »Das hängt davon ab, was er zu mir sagt.«
    »Ich meinte«, sagte Wright in einem neuen Versuch, »ich nehme an, Sie werden seinen Vorschlag ablehnen.«
    »Na, ich werde mir anhören, was es ist, aber es stimmt, daß ich keinen Grund sehen kann, einen solchen Vorschlag anzunehmen. Das heißt, solange es beim Vorschlag bleibt. Wenn er Druck anwendet, werde ich es mir noch überlegen müssen.«
    »Um gerecht zu sein, muß man sagen, daß sie sich heutzutage nicht mehr so benehmen, Reverend.«
    »Glauben Sie, die werden sich zurückhalten, wenn sie etwas wirklich dringend benötigen? Vielleicht bin ich sehr wichtig; das ist einer der Punkte, worüber wir nichts wissen. Ich kann mir nicht vorstellen, warum ich ihnen wichtig sein sollte, aber so ist es immer, wenn man mit ihnen zu tun hat. Man weiß nicht, was sie als nächstes tun werden, weil sie es auch nicht wissen. Man sieht es ihren Gesichtern an – besorgt, verwundert, wie Kinder, die plötzlich gezwungen sind, an einer Aktivität von Erwachsenen teilzunehmen. Ich erinnere mich …«
    Der alte Mann verstummte. Die knotigen Finger seiner gefalteten Hände krümmten und streckten sich. Seit mehreren Jahren hatte er weder das Gesicht eines Russen noch einer anderen Person in irgendwelchen Einzelheiten gesehen; dennoch hörte es sich nicht wie ein Phantasieprodukt an, was er sagte. Der Doktor schaute auf seine Uhr.
    »Er hat sich verspätet.«
    »Wahrscheinlich wird er überhaupt nicht kommen. Sind Sie sicher, daß Sie ihn richtig verstanden haben?«
    »O ja, Sir, er drückte sich ganz klar aus.«
    »Es scheint ein wenig seltsam, daß er all diese Mühe auf sich nehmen sollte, um einen guten Eindruck zu machen, der ihm nicht viel nützen kann.«
     
    Ähnlich dachte Alexander selbst, der um diese Zeit das Dorf erreichte. Seit Theodors Revolution seine Gedanken und Tagträume beherrschte, schien es ihm noch weniger wichtig als zuvor, sich mit dem Beauftragten Mets gut zu stellen. Aber er konnte sich diesem Abendbesuch nicht entziehen; zu sagen, er habe es sich anders überlegt, einfach nicht zu tun, was er beschlossen hatte, war undenkbar. Sein Fehler hatte darin bestanden, daß er überhaupt zugestimmt hatte, Mets zu sprechen; er hätte voraussehen können, daß seines Vaters alberner Stolz auf irgendeine lächerliche Aufgabe hinauslaufen würde, die sich gleichwohl nicht abschütteln ließe, tatsächlich sogar so rasch und perfekt wie möglich ausgeführt werden mußte.
    Er fand das Haus ohne Schwierigkeiten. Es stand schräg gegenüber der Dorfkirche, aus der Akkordeonmusik und der Lärm singender Stimmen und grölenden Gelächters drangen. Als er gleichauf war, wurde die schwere Tür aufgestoßen, und der Lärm verstärkte sich. Zwei Männer mittleren Alters kamen laut durcheinanderbrüllend herausgeschwankt, schon am Nachmittag betrunken. Als sie die russische Uniform sahen, wurden sie still und versuchten sich aufrecht zu halten, und einer von ihnen schloß hastig die Tür, eine unnötige Anstandsgeste, denn die Tage waren längst vorbei, da ein Soldat der Überwachungseinheiten englisches Fehlverhalten mit Reitpeitsche oder Gewehrkolben korrigiert haben würde. Diese zwei mußten ihre Lektion in der Jugendzeit gründlich gelernt haben.
    Auf Alexanders Klopfen hin öffnete eine dunkelhaarige junge Frau. Sie war angenehm genug anzuschauen, aber nicht so, daß es sein Verlangen geweckt hätte und nicht mehr als eine beliebige Frau ihres Alters es getan haben würde, was unter den Umständen genausogut war. Sie hatte einen kleinen Jungen von fünf oder sechs Jahren an der Hand. Nachdem er sie freundlich auf Russisch begrüßt hatte, hob Alexander den kleinen Jungen hoch – wenigstens er zeigte kein Mißtrauen – und setzte ihn in den Sattel. Ein kurzes Spiel, das offenbar ihm und seiner Mutter annehmbar erschien. Als es um war, erschien ein Mann, der offenkundig der Vater des Jungen war, nahm Polly am Zügel und führte sie hinter das Haus. Alexander

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