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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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danach wieder ein paar Wochen warten läßt.«
    »Es würde immer noch Zeit sein. Sie müssen Ihre Faszinationskraft üben«, sagte Sevadian und wandte sich zur Bühne.
     
    »O Schlangenherz (las das Mädchen), von Blumen überdeckt!
    Wohnt’ in so schöner Höhl’ ein Drache je?
    Holdsel’ger Wüterich! Engelgleicher Unhold!
    Ergrimmte Taube! Lamm mit Wolfesgier!
    Verworfne Art in göttlicher Gestalt!
    Das rechte Gegenteil des, was mit Recht
    Du scheinest: ein verdammter Heiliger!
    Ein ehrenwerter Schurke! …«
     
    Sevadian, der aufmerksam zugehört hatte, zog die Stirn in Falten, seufzte und schüttelte den dunklen Kopf. »Der Text muß entstellt sein – sicherlich ist es ein verdammter Schurke, ein ehrenwerter Heiliger«, murmelte er. Dann wandte er sich wieder zu Alexander. »Ihr Vater genießt großen Respekt im Distrikt. Nach meinen geringen persönlichen Kenntnissen scheint er jedenfalls ein humaner Mensch zu sein. Wie sehen Sie ihn?«
    »Er ist so human …«
    »Bitte nicht so laut.«
    »Verzeihung. Er ist so human, daß er die Rechte eines tollen Hundes schützen würde. Er trägt immer auf beiden Schultern: spricht gegen das System, während er alles aus ihm herausholt, was er kann, und für sein Fortbestehen arbeitet. Er sympathisiert mit den Engländern und lädt Direktor Vanag zum Abendessen. Ich verabscheue ihn.«
    »Darf ich dem entnehmen, daß Sie keine Einwände dagegen haben würden, Ihren Vater persönlich festzunehmen, wenn die Zeit kommt? Man meinte hier, daß eine solche Tat einen gewissen symbolischen Wert haben würde.«
    »Ich glaube, ich würde ihn lieber erschießen«, platzte Alexander heraus, hielt inne, fuhr in ruhigem Ton fort: »Ich bin durchaus bereit, ihn festzunehmen, ja.«
    »Wir wollen unsere Operation mit möglichst wenig Blutvergießen durchführen.« Mit diesen Worten trat eine plötzliche Veränderung in Sevadians Haltung ein, die bis dahin streng praktisch mit einem gelegentlichen Anflug von Humor gewesen war. Nun wandte er sich auf seinem Sitz ganz herum, daß er Alexander von vorn sehen konnte, und fixierte ihn mit seinem bemerkenswerten Blick. »Ich frage mich, ob Sie wie ich und einige andere Mitglieder unserer Bewegung das Gefühl haben, ein unschätzbares Privileg zu genießen, weil es uns möglich ist, an einer gewaltigen historischen Umwandlung mitzuwirken; ich hoffe, Sie fühlen dies auch und es ist mehr als eine bloße Teilnahme, es ist die eigene Mitwirkung, Anleitung und Formung. Wenn wir unser Werk getan haben, wird die Welt nie wieder sein, was sie war. Am Ende werden unsere Namen vergessen sein, aber wir werden der Geschichte unseren Stempel aufgedrückt haben, solange es eine zivilisierte Menschheit gibt. Die Menschheit wird unser Andenken bewahren. Durch die Befreiung anderer werden wir uns selbst und alle, die nach uns kommen, befreit haben. Ich stelle mir vor, daß die gleichen Gedanken, das gleiche Zielbewußtsein unsere großen Vorgänger in Petrograd beseelte, als der Herbst 1917 nahte. Unsere Aufgabe ist die Wiederherstellung jener Revolution. Und wir werden nicht scheitern.«
    Was Alexander an dieser Ansprache am meisten beeindruckte, war nicht so sehr ihre Überzeugungskraft, auch nicht ihr rascher, alles in wenigen vollkommenen Sätzen zusammenfassender Vortrag, als vielmehr ihre geringe Lautstärke und das beinahe völlige Fehlen begleitender Gesten. Jeder, der weiter als ein paar Schritte entfernt war und nicht direkt in seiner Blickrichtung, mußte den Eindruck gewinnen, daß Sevadian weitere und nicht unkritische Bemerkungen über das geprobte Theaterstück mache. Aus irgendeinem Grund vermehrte dies die Schwierigkeit, eine Antwort darauf zu finden. Alexander wußte nichts zu sagen, was ganz frei von der Gefahr gewesen wäre, frivol oder oberflächlich zu klingen, und so begnügte er sich mit einem ernsten Kopfnicken.
    Zum ersten Mal begann er zu glauben, daß das, was er für eine amüsante Phantasterei gehalten hatte, tatsächlich versucht werden und womöglich gar gelingen könnte. Und wenn es gelänge, und er hätte keinen Anteil daran, dann würde er von einem Offizier des Gardekorps vermutlich zu einer Art von Gefangenem werden, wenn auch nicht für lange. Auf der anderen Seite war er ziemlich sicher, daß es ihm bei weitem schlechter ergehen würde, wenn er sich am Umsturzversuch beteiligte und dieser scheiterte. Aber würde man ihn in diesem Fall nicht schon jetzt als einen Mitverschwörer betrachten? Es würde ihm nicht helfen,

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