Das Auge des Basilisken
wenn er sich darauf hinausredete, daß er tatsächlich noch nichts getan hatte; und fortgeschrittene Vernehmungsmethoden ließen ihm auch nicht die geringste Chance, daß sein Name der Sicherheitsabteilung nicht sofort bekannt wurde. Hätte er nur früher überlegt – nicht ob der verwünschte Plan gelingen könnte oder nicht, sondern daß der Versuch seiner Verwirklichung mehr und mehr zur Gewißheit wurde!
Die vernünftigste Handlungsweise wäre, zum Quartier zurückzukehren, die Uniform anzuziehen und Vanag, der am vorausgegangenen Tag aus Moskau zurückgekehrt war, einen Besuch abzustatten. Aber das kam auch nicht in Betracht. Alexander bestätigte sich selbst, daß er unempfindlich gegen alle moralischen Bedenken sei; was er nicht ertragen konnte, war, als ein Mensch angesehen zu werden, der solcher Dinge fähig war. Und wie begehrenswert, wie notwendig und wie köstlich mußte es sein, zum Helden einer erfolgreichen Revolution zu werden! Denn kraft dieser Liste und der Projektile …
Sevadian wünschte ihm Glück, drückte ihm die Hand und ging. Theodor, der seit seiner Ankunft nichts gesagt hatte – er war gut im Schweigen – sagte jetzt:
»Ist er nicht großartig?«
»Sehr eindrucksvoll. Ist er der Führer?«
»Der Führer unserer Zelle. Die Identität des Führers der ganzen Bewegung ist nur zwei Leuten bekannt.«
»Ich sehe den Sinn solcher Geheimhaltung ein, aber sie muß gewisse Fragen aufwerfen …«
»Alexander, ich möchte deinen Vater aufsuchen und etwas mit ihm besprechen, was natürlich nichts mit dieser Sache zu tun hat, aber es wäre mir lieb, wenn du auch zugegen sein könntest. Wann würde es am günstigsten sein?«
»Freitagabend hat er offenes Haus. Wenn du ein längeres Gespräch mit ihm wünschst, würdest du besser daran tun, bis nächste Woche zu warten. Ich kann fast jeden Abend dort sein.«
»Freitag ist mir recht. Und danke, daß du keine Fragen stellst. Ich hoffe, es wird dir nichts ausmachen, wenn ich dir eine stelle. War es dein Ernst, was du über deinen Vater sagtest, daß du bereit wärst, ihn zu erschießen?«
»Ich sagte, ich war der Meinung. Ich bin es auch jetzt noch, kann mir aber wirklich nicht vorstellen, wie mir zumute sein würde, wenn es tatsächlich dazu käme.«
Nachdem er eine Menge Arbeit in der Kulturkommission erwähnt hatte, entfernte sich Theodor ohne weitere Fragen. Alexander, die linke Hand in der Tasche, wie es Offizieren außerhalb der Dienstzeit traditionell erlaubt war, schlenderte zu seinem früheren Platz nahe der Bühne, wo soeben eine Unterbrechung der Proben verkündet worden war und Teetassen herumgereicht wurden. Diesmal erwiderte, die junge Schauspielerin seinen Blick lange genug, daß er grüßend nicken konnte, aber nicht länger. Er wartete, um zu sehen, ob sie sich den anderen zuwenden würde, von denen sie ein wenig abseits stand; als sie es nicht tat, ging er ohne Umschweife zu ihr und stellte sich als ein neuernanntes Mitglied der Kommission vor.
»Mein Name ist Sarah Harland«, sagte sie in ausdruckslosem Ton, sehr verschieden von ihrer Deklamation. »Was kann ich für Sie tun?«
»Ich dachte, Sie könnten mir die Ehre erweisen, sich von mir zum Essen ausführen zu lassen. Ich fürchte, es ist nirgendwo sehr …«
»Warum sollte ich?«
»Kein besonderer Grund. Ich interessierte mich für das Schauspiel, und wir könnten …«
»Es stimmt nicht, daß Sie sich interessierten; sie hatten nur Zeit für das, was der Chef Ihnen sagte.«
»Dann müssen Sie mich beobachtet haben.«
»Ich beobachtete das Publikum – das tut eine Schauspielerin immer bei den Proben. Nein, Sie können mir nicht weismachen, Sie seien an dem Schauspiel interessiert. Sie sind nicht einmal an mir interessiert; Sie wollen nichts weiter, als mich so schnell wie möglich aufs Kreuz legen. Ihr Scheißer seid alle gleich.«
Jetzt sprach sie nicht mehr ausdruckslos. Aus der Nähe betrachtet, sah sie überdies lebhaft und ziemlich kriegerisch aus. Alexander fand die Art und Weise, wie sie die Lippen bewegte, sehr attraktiv, und die Entwicklung ihrer Figur noch attraktiver. Er ließ etwas von seiner ehrlichen Verwirrung durchscheinen und sagte nach einer Pause:
»Was kann ich tun, um Sie zu überzeugen, daß ich wenigstens an Ihnen interessiert bin? Das Stück können wir aus dem Spiel lassen.«
»Ich habe nicht die leiseste Ahnung.«
Sarah Harland kehrte ihm den Rücken und ließ sich eine frische Tasse Tee geben, während er in sich hineinlächelte.
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