Das Auge des Basilisken
Während ihres kurzen Gesprächs hatte sie sich unmerklich von der Gruppe der anderen entfernt, die nun um einen jungen und einen älteren Schauspieler vergrößert war, und hatte die Stimme gedämpft. Er mußte sich also nur in Geduld üben, eine weitere Stunde der Probenarbeit widmen, auf eine künftige Gelegenheit achten, vor allem aber eine Pause einschieben, die, ob sie nun Minuten oder Tage dauern würde, lang genug sein mußte, daß Miss (oder Mrs.) Harland ihr Selbstbewußtsein mit dem Argument befriedigen konnte, sich nicht billig zu machen. Dann konnte das gemeinsame Essen kommen, und dann, nach Minuten oder Tagen, aber unausweichlich von diesem Moment an, da sie die ersten Worte zu ihm gesprochen hatte, das Bett. Mit sechzehn hatte er ein Mädchen gekannt, das ihm die ersten Male, wenn er nach ihrer Brust gefühlt, die Hand weggezogen hatte, und dann wieder, wenn er sie ihr unter den Rock geschoben hatte; das gleiche Merkmal in einem anderen Maßstab. Betrachtete man es in einer bestimmten Weise, so war es wirklich bemerkenswert, wie wenig es bei Frauen zu verstehen gab.
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ZWÖLF
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»Wenn man es recht bedenkt, Brevda, dann ist das Leben die reine Hölle.«
»Es ist allgemein bekannt, daß es seine negativen Aspekte hat.«
»Man hat keine Ruhe vor dem Zwang, sich zu entscheiden, was man in einer gegebenen Situation tun sollte.«
»Die Notwendigkeit der moralischen Entscheidung kann höchst beschwerlich sein, Herr Fähnrich.«
»Der Eigennutz ist eben kein ausreichender Führer zum rechten Verhalten, nicht wahr?«
»In vielerlei Hinsicht beklagenswert unzulänglich.«
»Schließlich gibt es so etwas wie Recht und Unrecht.«
»So ist es.«
Nachdem sie ein paarmal die Länge der Galerie abgeschritten und sich in diesem Stil unterhalten hatten, blieben der Offizier und sein Bursche am östlichen Fenster stehen. Es war Freitagnachmittag und gegen halb sieben. In den letzten Stunden hatte sich eine drückende Schwüle entwickelt, doch waren die ein Gewitter androhenden Wolken wieder abgezogen, und die Sonne funkelte und blitzte auf dem dunklen Wasser des Teiches. Alexanders Bewußtsein war wie leergefegt; er konnte sich nicht einmal erinnern, warum er dieses Gespräch angefangen hatte, noch hatte er eine Ahnung, was er als nächstes sagen sollte. In dem Bemühen, die Trägheit abzuschütteln, wandte er sich abrupt dem Burschen zu und sagte beinahe auf Geratewohl:
»Haben Sie mir frische Zigaretten besorgt?«
»Nein, Herr Fähnrich, ich …«
»Warum nicht?«
»Nun, ich muß morgen in die Stadt, Herr Fähnrich, und Sie haben noch ungefähr zehn, und da Sie niemals mehr als zwei oder drei …«
»Heute könnte aber der Abend sein, an dem ich zwanzig will. Nur weil Sie ein Gewohnheitsmensch sind, der sich im Einerlei eines gleichförmigen kleinen Lebens wohl fühlt, brauchen Sie nicht anzunehmen, daß andere das gleiche tun. Sorgen Sie in Zukunft dafür, daß ich zu allen Zeiten eine volle Packung habe! Ihr Anblick geht mir auf die Nerven – verschwinden Sie und lassen Sie mir ein Bad einlaufen!«
»Jawohl, Herr Fähnrich.«
»Brevda …«
»Jawohl?«
Alexander starrte seinen Burschen lange mit trübem Blick an, dann zwinkerte er und öffnete und schloß langsam den Mund. »Ah – tut mir leid. Es ist … die Hitze oder was. Vergeben Sie mir.«
»Selbstverständlich, Herr Fähnrich.«
Eine halbe Stunde später war Alexander in seinem Schlafzimmer und legte die Ausgehuniform an. Inzwischen schien er bei besserer Laune; er pfiff einen Marsch, der ihm frisch im Gedächtnis war, nachdem er ihn von der Regimentskapelle gehört hatte, die ihn in Vorbereitung der für den nächsten Tag anberaumten Parade geübt hatte. Die Wodkaflasche stand noch auf dem Arbeitstisch, aber der Flüssigkeitspegel wies seit mehr als einer Woche keine Veränderung auf. In gleicher Weise hatte er frühzeitig seine Absicht kundgetan, an diesem Abend an der Gesellschaft teilzunehmen, und hatte die letzte halbe Stunde ruhig lesend verbracht, wo er geradeso gut bäuchlings auf dem Bett hätte liegen können. Diese Verbesserungen hatten ihren Ursprung nicht in irgendwelchen selbstreformatorischen Anstrengungen, sondern in der Anspannung seiner Energien: alle Zeit, die Dienst und Geschlechtsleben ihm ließen, wurde von der Revolution aufgebraucht und es blieb nichts übrig, um zu trinken, den anderen Mitgliedern des Haushalts zur Last zu fallen oder sich wie jemand in einem russischen Roman des neunzehnten
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