Das Auge des Basilisken
Jahrhunderts zu benehmen. Infolgedessen war er der Zufriedenheit, sogar dem Gefühl, glücklich zu sein, näher als seit Jahren; es traf zu, daß sein zweiter Besuch bei den Proben des englischen Schauspiels, den er am Morgen nach dem ersten gemacht hatte, nur Verdruß gebracht hatte, doch war darauf schon bald eine Art beschämender Erleichterung gefolgt. Seine Reaktion auf den Rückschlag mußte eine möglichst ausgedehnte Periode der Inaktivität sein, keine allzu entmutigende Aussicht für einen, der bereits so stark beschäftigt war. Tatsächlich hatte er seither eingesehen, daß seine ursprüngliche Annäherung an Sarah Harland im Verfolg jener früheren und vergleichsweise unreifen Politik stattgefunden hatte, die augenblickliche Verfolgung jeder attraktiven Frau diktierte und die viel weiter zurückreichte als seine Verbindung mit Frau Korotschenko, welche, wie ihm schien, die am wenigsten jugendliche Phase seiner bisherigen Karriere war.
Sein Kamm verfing sich im verfilzten Haar auf seinem Scheitel, entglitt seiner Hand und über die Oberfläche des Toilettentisches, um in dem Ritz zwischen diesem und der Wand zu verschwinden. Laut auf englisch fluchend, schuf er mit unnötigem Kraftaufwand eine Verbreiterung des Spalts, bis er den Arm hineinstecken konnte. Seine tastenden Finger fanden den Kamm bald, aber vorher schon hatten sie etwas anderes gefunden, etwas, was sich wie ein Stück Karton anfühlte. Es erwies sich als ein Schatz, den er seit einem oder zwei Jahren verloren gewähnt hatte – er hatte damals keinen Anlaß gesehen, hinter dem Toilettentisch nachzusehen, und das Dienstpersonal auch nicht: die alte Fotografie, sieben Meter unter seinem Standort aufgenommen, die ihm von der Zypressenallee berichtet hatte, der Buchsbaumhecke, den Statuen der Nymphen und Jäger, die kleinen steinernen Löwenplastiken, die einst von seinem Fenster sichtbar gewesen waren. Ob es an der seither verstrichenen Zeit lag, oder an der erneuerten Wirkung der alten Schwarzweißaufnahme, oder, wahrscheinlich noch, an der Erfahrung, die er in der Zwischenzeit gewonnen hatte, der Anblick berührte ihn stark.
Innerhalb weniger Sekunden verlor sich all seine neue Festigkeit und Nüchternheit aus seiner Haltung, und seine Augen nahmen einen vagen, zerstreuten Ausdruck an. Er versuchte sich die Szene in der Fotografie vorzustellen, nicht leer, fremd und traurig, wie sie war, sondern belebt von einigen der Menschen, die damals hier gelebt hatten, den Männern in Tweedanzügen, gestreiften Hemden und den Schlipsen in den Farben ihrer Schule, Universität oder Militäreinheit, den Frauen in aufwendigen Kleidern aus hellfarbener Seide und feinen Seidenstrümpfen, mit viel Schmuck behangen. Zu dieser Stunde hätten sie vielleicht Sandwiches mit Essiggurken gegessen und Gin, schottischen Whisky, Portwein, Champagner aus Kristallgläsern getrunken.
Was hatten sie gedacht? Hatten sie geahnt, was sie erwartete? – Denn Alexander hatte sich immer eingebildet, hatte für selbstverständlich gehalten, daß das Bild nicht durch Zufall, sondern durch Plan an eine untergegangene Welt erinnerte, daß es aus den letzten Monaten oder Tagen jener Welt datierte und unter den Parkettboden der Galerie gesteckt worden war, daß er es wiederfinde, oder genauer gesagt, daß er davon Besitz ergreife, nachdem ein Arbeiter es einige Jahre zuvor beim Auswechseln verrotteter Parkettriemen gefunden hatte. Was hatten sie zueinander gesagt, diese Männer und Frauen im Endstadium des Kapitalismus? Hatten Sie von den hungernden Kleinrentnern in ihren ungeheizten Löchern gesprochen, von den kranken Kindern, denen ein Platz im Krankenhaus verwehrt geblieben war, weil ihre Eltern die Kosten nicht tragen konnten, von den indischen und pakistanischen Einwanderern, die zitternd in den Hinterzimmern ihrer Läden gekauert hatten, während der rassistische Mob plündernd und brennend durch die Straßen gezogen war und die Polizei untätig zugesehen oder sogar an den Plünderungen teilgenommen hatte, von den Gruppen der Arbeiter, die sich hier und dort hastig gebildet und auf den letzten Kampf vorbereitet hatten? (Kaum von den Letzteren, da ihre Versammlungen sicherlich insgeheim stattgefunden hatten.) Oder hatten sich diese vor langer Zeit geführten Gespräche um traditionelle Interessen gedreht, um Fuchsjagden, Fasanenschießen, Cricket, die Londoner Theater, Ehebruch? Er hatte keine Ahnung von den Antworten auf diese Fragen, hoffte nur, daß der letzten ein ja
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