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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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angefügt werden könne, weil das die Teilnehmer in seinen Augen bewundernswerter machte, aristokratischer, englischer. Und sicherlich würde jener andere Alexander sich seiner vertrauten Lebensart bis zu dem Augenblick erfreut haben, da sie ihm gewaltsam genommen worden war. Bei dem Gedanken an seinen Namensvetter und Vorgänger hob Alexander Petrowsky den Kopf, und etwas von der träumerischen Abwesenheit verlor sich aus seinem Blick. Nach einem Augenblick trat er an den Bücherschrank, nahm das in Purpur gebundene Buch heraus, schlug es an eingemerkter Stelle auf und fuhr mit dem Finger über die Seite. Dann las er laut, mit einer hohen, langsamen und einförmigen Stimme, den Abschnitt, den entweder der Zufall oder eine erstaunlich genaue Kenntnis in seinen Weg gelegt hatte.
     
    »Die fleckigen Hände ausgestreckt, in Liebe zu ergreifen,
    Der speichelnd’ Mund, der küssen möcht, die schwachen Augen
    Voll süßer Bilder dessen, was nie war;
    Ach, schließe sie mit einem Schlag, stoß fort
    Die Hände, zum Schweigen bring den Mund für immer,
    Eh’ daß er ruft Vernunft und Recht und Treue,
    und die Henker kommen.«
     
    Diesmal schloß der Leser das Buch ohne ein Geräusch und stellte es behutsam zurück. Nachdem er eine Weile seinen augenscheinlich unerfreulichen Gedanken nachgehangen hatte, ließ er einen tiefen Seufzer hören, überprüfte seine Erscheinung im Garderobenspiegel, zog den Uniformrock glatt und marschierte hinaus.
    Unten im Salon versammelten sich die ersten Gäste. Drei lange Tische bildeten ein offenes Rechteck auf dem gepflasterten Platz zwischen der Freitreppe und dem Rand des Teiches. Es war bereits aufgetragen. Schüsseln und Platten mit Schinken, geräucherter Gans, kaltem Hammelfleisch, kaltem Hühnchen, roten Beeten, Eierkürbis, Blaukraut, Wasserkresse und Endiviensalat bedeckten den Tisch, dazu Schüsseln mit Würztunke, eingelegten Pilzen und Zwiebeln, Weißbrot und Butter. Pfirsiche, Stachelbeeren, Himbeeren, Schlagsahne und Dickmilch wurden gleichfalls geboten, zusammen mit verschiedenen Sorten Kuchen. Bowlen aus einem transparenten Kunststoff, der wie Glas aussehen sollte, enthielten einen kalten Punsch aus Krasnodar-Riesling mit Zitronensaft, Zuckersirup und einem Schuß Wodka. Wodka stand bereit für den, der danach fragte, und naturgemäß würde es viel Nachfrage geben.
    Diese zwanglosen Empfänge, die der Verwaltungschef des Distrikts am zweiten und vierten Freitag jedes Monats von März bis Oktober gab, erfreuten sich bei Zivilisten und Militärs großer Wertschätzung, nicht allein wegen der großzügigen Gastfreundschaft, obgleich diese tatsächlich ein Faktor war, noch aus gewöhnlichen gesellschaftlichen Gründen, als vielmehr wegen der sonst allzu selten gebotenen Gelegenheit, mit Kollegen, Widersachern und Personen zusammenzutreffen, die aus Gründen des Ranges oder des Protokolls normalerweise unerreichbar waren und unter diesen zwanglosen Umständen in ein paar Minuten Schwierigkeiten beilegen konnten, die andernfalls in wochenlangen amtlichen Schriftwechseln nicht aufgelöst worden wären.
    Die Schwierigkeit, die Petrowsky und seine Frau jetzt beschäftigte, hatte dies seit annähernd zehn Jahren immer wieder getan und ließ sich bestimmt nicht in ein paar Minuten beilegen. Dennoch ließ die Dringlichkeit in Tatjana Petrowskys Ton und Haltung erkennen, daß sie keineswegs die Hoffnung aufgegeben hatte, eines Tages ihre Ansicht durchzusetzen. Sie und ihr Mann standen in einiger Entfernung am geschwungenen Ufer des Teiches, abseits von den noch nicht zahlreichen Gästen; um die Zwanglosigkeit zu fördern, hatte Petrowsky schon seit Jahren von der sonst üblichen Praxis abgesehen, die einzelnen Gäste seiner Empfänge bei ihrem Eintreffen ausrufen zu lassen.
    »Du mußt mit ihm sprechen«, sagte sie, keine Anhängerin von Originalität um ihrer selbst willen.
    »Ich kann in diesem Augenblick kaum mit ihm sprechen, mein Liebes.«
    »Doch, genau das kannst du tun, Sergej. Er ist gerade angekommen, ist allein, wird um diese Zeit nüchtern und vor allem unvorbereitet sein. Das ist deine einzige Chance, sein Ohr zu gewinnen. Wenn du deine Absicht signalisierst, indem du ihm sagst, daß du mit ihm plaudern möchtest, oder … wie du es auch anfängst, bis du Gelegenheit hast, ihn zu sprechen, wird er sich überlegt haben, mit welcher Haltung er dich auf Distanz halten oder demütigen kann … Du weißt, wie er ist.«
    »Ja, das allerdings. Was soll ich ihm

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