Das Auge des Basilisken
Gefreiten, der gerade hereingekommen war.
»Ihre Ordonnanz wartet draußen, Herr Fähnrich.«
Ohne ein weiteres Wort warf Alexander seine Serviette auf den Tisch und schritt hinaus. Um den Tisch erhob sich ein erleichtertes und amüsiertes Gemurmel.
»Verträgt er keinen Spaß?« fragte Wsewolod.
»Im allgemeinen schon«, sagte Dmitri. »Bei anderer Gelegenheit hätte er vor Lachen gebrüllt. Es hängt allein von seiner Stimmung ab. Wahrscheinlich macht er sich Sorgen wegen des Kriegsgerichts. Ich kann es verstehen.«
Viktor blickte verdrießlich auf den Tisch. »Warum geht es nicht voran mit der verwünschten Geschichte? Seit einer Woche ist der Militärstaatsanwalt schon da. Was macht er?«
»Vielleicht betrinkt er sich«, sagte Wsewolod.
»Das kommt darauf an, wieviel Verstand er hat«, erwiderte Viktor.
Dmitri schmunzelte und sagte nicht ohne Bewunderung: »Du läßt jedenfalls keine Gelegenheit aus, wie?«
»Scheiß drauf!« sagte Viktor. »Ich glaube, ich fühle mich jetzt gut genug, daß ich eine Tasse Tee riskieren kann.«
Die schwüle Luft draußen brachte keine Erleichterung. In weiter Ferne zogen graue Wolkenbänke träge dahin. Die Ordonnanz, ein knochiger junger Bursche mit kurzgeschorenem Kopf und einem zuckenden Augenlid, nahm Haltung an und salutierte – zackig, hätten viele gesagt, aber Alexander nicht, nicht an diesem Morgen.
»Rühren! Achtung! Na, ich will meine Zeit nicht vergeuden. Was gibt es?«
»Unteroffizier Ulmanis läßt Ihnen dies übergeben, Herr Fähnrich. Soeben eingetroffen.«
Alexander nahm den Umschlag entgegen. Der war ziemlich unsauber, aber das fiel ihm nicht auf. Briefumschläge waren meistens unsauber. Dieser enthielt eine formlose handschriftliche Notiz von Oberstleutnant Tabidze, der ihn für zwei Uhr nachmittags zu Cocktails und Tee einlud. Wenn der Empfang viel länger als eine halbe Stunde dauerte, würde er sich bei Frau Korotschenko verspäten. Nun, das ließ sich ertragen.
»Soll ich eine Antwort überbringen?«
»Nein, aber sehen Sie zu, daß Ihre Hose gebügelt ist, bevor Sie zum Appell antreten, oder es setzt einen Verweis. Also los!«
Die Truppeninspektion verlief ohne Zwischenfall. Alexander aß frühzeitig zu Mittag, ließ Polly satteln und ritt zum Haus der Tabidzes, wo der Oberst immer häufiger seine dienstfreien Stunden zuzubringen pflegte. Es war ein hübscher viktorianischer Ziegelbau mit dem Erkertürmchen an beiden Ecken und einer aus Gußeisen konstruierten überdachten Veranda und mußte in den Tagen, bevor die umgebende Gruppe schottischer Kiefern abgeholzt worden war, einen eindrucksvollen Anblick geboten haben. Von einer Fahnenstange am Dach der Veranda hing die Regimentsstandarte schlaff in der windstillen Luft. Ein Diener nahm Polly am Zügel und führte sie fort; ein anderer öffnete die Haustür, sowie er klopfte, führte ihn durch einen ziemlich dunklen Hausgang, wo es stark nach Möbelpolitur und ein wenig nach Exkrementen roch, und öffnete ihm die Tür zu einem Zimmer am rückwärtigen Ende. Dies war die Bibliothek, die diesen Namen trug, weil eine Wand zum Teil mit Bücherregalen bedeckt war; anderswo waren Sportpokale, Landkarten, Fotografien von Reihen strengblickender Männer in Uniform und andere Gegenstände von untadelig soldatischer Art zu sehen. Alexander hatte glückliche, aber lückenhafte Kindheitserinnerungen von alledem.
»Ah, mein lieber Junge, wie nett von dir, daß du gekommen bist.« Tabidze, in einer Ziviljacke mit Gürtel, die seine schlanke Gestalt zur Geltung brachte, eilte auf ihn zu und schüttelte ihm herzlich die Hand. »Welch unangenehm schwüle Hitze. Sollte mich nicht wundern, wenn ein Gewitter im Anzug wäre. Ich muß sagen, ich hoffe es. Laß mich frischen Tee aufgießen; dieses Zeug ist nur noch geeignet, um die Rosen damit zu gießen. Nimm dir ein Glas, was du willst, Junge. Und versuch dazu einen von diesen Haferkuchen – eine alte Spezialität aus der Gegend von Northampton, wie man mir sagte. Nun, was macht mein ehrenwerter Freund, Major Yakir?«
Während er sich selbst ein kleines Glas Glenlivet einschenkte und zusah, wie der andere sich am Samowar zu schaffen machte, beantwortete Alexander diese und andere Fragen, die ihr folgten. Er beantwortete sie sorgfältig, denn obgleich er ziemlich genau wußte, was ihn erwartete, und sich davon nicht weiter anfechten ließ, befand er sich in einem Zustand qualvoller Unruhe. Es war normal für seinen kommandierenden Offizier und Busenfreund
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