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Das Auge des Basilisken

Das Auge des Basilisken

Titel: Das Auge des Basilisken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kingsley Amis
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Ereignisse ungehindert beobachten. Kurze Zeit blieb die Bühne leer. Dann kamen Romeo und Benvolio wieder aus den Kulissen gelaufen und stürmten auf die Vorbühne. Sie brüllten aus Leibeskräften in die Menge, aber was sie riefen, blieb im Lärm unhörbar, für Alexander ebenso wie für den Rest der Menge; niemand beachtete die beiden. Wie es schien, riefen sie immer wieder ein einziges Wort, und er bemühte sich angestrengt, dieses Wort zu verstehen. Zwar gelang ihm dies in dem allgemeinen Aufruhr nicht, aber er brauchte nicht lange zu warten, bis die Antwort sich von selbst einstellte. In einer höchst schauspielmäßigen Weise zog eine dichte und bemerkenswert rasch sich ausbreitende Rauchwolke aus den Kulissen von Capulets Garten hervor. Gleichzeitig wurde die verborgene Tür neben der Bühne aufgestoßen, aus der Aram Sevadian und Theodor zu ihm gekommen waren, als er der Probe beigewohnt hatte. Bühnenarbeiter und Schauspieler eilten aus dieser Tür, ein unbedeutenderer Montague, ein ebenso unbedeutender Capulet, Leute aus dem Gefolge des Prinzen, ein Mann, der als Mercutio erkenntlich war. Einige aus der durcheinanderwogenden Menge erkannten ihn, aber bevor er angegriffen oder beschimpft werden konnte, hatten andere den Rauch gesehen, der sich nun viel dichter und ausgebreiteter als zuerst aus dem Bühnenhaus wälzte.
    Das Geschrei hörte auf, oder schlug vielmehr um in unnötige aber verständliche Rufe wie »Feuer!« und »Es brennt!« Alexander blickte wieder zur Bühne. Romeo und Benvolio waren nirgendwo zu sehen; sie konnten nur in den Zuschauerraum herabgestiegen sein. Einer nach dem anderen kamen Prinz Escalus, ein Bühnenarbeiter und ein Mädchen aus dem Rauch und kletterten von der Bühne, offenbar außerstande, die Seitentür zu erreichen, die von Mercutios Gruppe benutzt worden war. Wo war Sarah? Endlich sah er sie, noch immer als Julia gekleidet, rennend, hustend, eine Tasche unter dem Arm. Sie erreichte die Vorbühne und versuchte die Kluft zur Barriere zu überwinden, war aber durch ihre Tasche behindert, sprang zu kurz und fiel in den Orchestergraben. Alexander handelte schnell. Er hatte sich in eine der Sitzreihen begeben, um der Menge nicht im Wege zu sein, die den Mittelgang hinauf zu den Ausgängen brandete; nun stieg er über die Sitzlehnen der Reihen vor ihm, bis er die erste Reihe erreichte. Für einen Mann seiner Körperkraft war es nicht schwierig, sich durch das Gedränge zur Barriere durchzukämpfen und sich hinaufzuschwingen, um hinüberzusehen.
    Der Boden des Orchestergrabens, der sich bereits mit Rauch zu füllen begann, war ungefähr zwei Meter unter ihm. Sarah Harland lag halb aufgerichtet hustend und keuchend am Boden und versuchte auf die Füße zu kommen, aber offenbar wegen ihres Sturzes ohne Erfolg. Sie sah ihn sofort, erkannte ihn und bat ihn stumm, aber unverkennbar um Hilfe. Er überlegte. Es würde ihm ein Leichtes sein, hineinzukommen, und nicht allzu schwierig, ihr herauszuhelfen. Schwierig würde es erst, wenn er dann versuchte, selbst aus dem Orchestergraben herauszukommen. Sie konnte ihm nicht helfen, andere würden es nicht tun, und der Graben war ohne Mobiliar, völlig ausgeräumt, und es gab nichts, worauf er hätte steigen könne. Er würde sich ausschließlich auf die Kraft seiner Arme verlassen müssen, und ob er es schaffen könnte, würde davon abhängen, wie weit er hinaufreichen müßte. Von seinem Platz hatte es den Anschein, als könnte es zu weit sein. Es mochte sein, daß er den Rand der Brüstung, auf der er saß, von unten nicht würde erreichen können; das war genug. Seine Entscheidung mußte sich in seinen Zügen gezeigt haben, denn in ihr Gesicht kam ein Ausdruck völlig unüberraschter Verachtung, ein furchtbarer Ausdruck, der ihn bis zu seinem Todestag heimsuchen sollte. Er wandte sich weg, um Kitty zu suchen, für die er schließlich in einem viel höheren Maß verantwortlich war.
    Riesige gerundete Rauchwolken quollen aus Türen und Fenstern des Theatergebäudes und verhüllten seine Fassade. Im Inneren war der eiserne Vorhang, dessen Mechanismus versagt hatte oder dessen Bedienungspersonal geflohen war, weniger als halb heruntergelassen; die aus dem Bühnenhaus schlagenden Flammen erfaßten bereits die Vorbühne. Freilich hätte er Sarah Harland auch nicht retten können, wenn er ganz heruntergelassen worden wäre. Sie starb an Rauchvergiftung, wenige Minuten nachdem Alexander sie verlassen hatte, das einzige Todesopfer des

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