Das Auge des Basilisken
Es gab Versuche, darüber zu lachen, aber sie hörten bald auf, als es weiterhin unverständlich blieb und sogar die anderen auf der Bühne anwesenden Personen Zeichen von Ungeduld erkennen ließen oder sich weigerten, der Alten zuzuhören. Aber die Freude über diesen Theaterabend und der in den ersten Minuten angesammelte gute Wille half der Wärterin durch die Szene. Die ersten Regungen von Ungeduld und Ablehnung zeigten sich dann in der vierten Szene, als Mercutio seinen Monolog über die böse Mab hielt, der aus ähnlichen Gründen wieder ungekürzt geblieben war. Auch hier war das anfängliche Gelächter kurzlebig. Am Ende des Monologs herrschte hörbare Unruhe im Haus, und Hochrufe grüßten Romeo, als er ihn endlich zum Schweigen brachte. Capulets Fest, ausgeschmückt mit Musik, Tanz und Kostümen, und vor allem ausgestattet mit einem einzigartigen neuen Bühnenbild, ließ für eine Weile wieder Ruhe einkehren, obgleich der Auftritt der Wärterin einen Ausbruch von Zurufen auslöste.
Bis zur Mitte des zweiten Aufzugs waren die Umgangsformen fest etabliert. Romeo und Julia waren zu respektieren, zumindest mußte man ihnen erlauben, ihre Texte in relativer Stille aufzusagen. Mercutio, die Wärterin und, sobald er auftrat, Bruder Lorenzo, waren zu Feinden ausersehen, die verhöhnt, beschimpft, bedroht und mit Geschrei traktiert wurden. Der allgemeine Jubel über den Tod Mercutios in der ersten Szene des dritten Aufzugs ließ die Handlung für mehr als fünf Minuten zum Erliegen kommen. Ein persönlicher Appell Romeos brachte sie wieder in Gang, aber um den Schwung war es geschehen. In ihrem Monolog zu Beginn der zweiten Szene des dritten Aufzugs war Julia ohne die Unterstützung von Romeos Gegenwart, statt dessen in Begleitung der verhaßten Wärterin, und ihre dramatische Kraft war derjenigen Romeos unterlegen. Eine Passage jedoch schien sie zu verstehen und trug sie mit einiger Überzeugungskraft vor:
»Komm, milde, liebevolle Nacht! Komm, gib
Mir meinen Romeo! Und stirbt er einst,
Nimm ihn, zerteil in kleine Sterne ihn:
Er wird des Himmels Antlitz so verschönen,
Daß alle Welt sich in die Nacht verliebt,
Und niemand mehr der eitlen Sonne huldigt. -«
Dem unruhigen Gemurmel tat dies allerdings keinen Abbruch.
Das Ende kam oder begann mit dem neuerlichen Auftreten der Wärterin. Die Aussicht, mehr von ihr hören zu müssen, schien plötzlich unerträglich. Anders als die Kirchengemeinde, hatten die Theaterbesucher gedacht, sie hätten eine Idee davon, was sie erwartete, und zeigten sich nun enttäuscht. Sie hatten sich auf einen vergnügten Abend gefreut und waren verwirrt und gelangweilt. Man hatte ihnen immer wieder gesagt, daß dies ein bedeutendes Stück von einem großen Engländer sei, und sie konnten nichts daran finden. Sie hatten diese lächerlichen Kleider angezogen und waren hierhergekommen, um sich zum Narren halten zu lassen. Es war, was einige von ihnen von Anfang an behauptet hatten – ein dummer Streich von diesen Scheißern.
An den folgenden Ereignissen war fast niemand unbeteiligt, und innerhalb des Publikums gab es keine Gegenströmung. Zurufe, Gestikulieren, gegenseitige Versicherungen, daß es kein lustiges Stück und nicht gut genug sei, dann standen sie in Massen auf und drängten langsam vorwärts zu dem Raum zwischen der ersten Reihe und dem Orchestergraben. Das halbe Dutzend ausgebildeter Platzanweiser wurde hilflos mitgezogen. Die Bereitschaftspolizei war durch elektronischen Alarm bereits verständigt, brauchte aber mehrere Minuten, um den Schauplatz des Geschehens zu erreichen. Die Menge schien mehr empört als bedrohlich und gab sich anfangs mit verbaler Aggression zufrieden. Romeo, Julia, Capulet, Benvolio und Prinz Escalus standen am Bühnenrand und versuchten die aufgebrachte Menge mit Gesten zu beschwichtigen; Worte wären im vielstimmigen Geschrei ungehört verhallt. Dann machten einige jüngere Männer sich daran, die Schranke zum Orchestergraben zu überklettern, offensichtlich in der Absicht, von dort auf die Bühne zu gelangen. Diejenigen von ihnen, die am nächsten Tag verhört wurden, sagten aus, sie hätten keine tätlichen Angriffe beabsichtigt gehabt und nur die Kulissen und Requisiten umwerfen wollen, aber es war verständlich, daß die Schauspieler sich bedroht fühlten, von der Bühne abgingen und das Weite suchten, solange man sie nicht daran hinderte.
Alexander, der auf halbem Weg zur Bühne im Mittelgang stand, konnte diese und die folgenden
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