Das Auge des Leoparden
offenbar häufiger und mehr trinkt als früher. Er setzt sich zu ihm an den Küchentisch und fragt ihn, ob er nicht bald aufbrechen wolle. Was war aus dem kleinen Frachter geworden, der die Küstengewässer befuhr?
Sein Vater bleibt ihm die Antwort schuldig und läßt den Kopf hängen, als wäre sein Genick schon gebrochen.
Ein einziges Mal geht er über die Brücke zu Janines Haus. Mitten in der hellen nordschwedischen Nacht glaubt er für einen furchtbaren Moment, ihre Posaune zu hören. Die Johannisbeersträucher leuchten verlassen. Er geht davon und kehrt nie mehr zurück. Ihr Grab meidet er.
Eines Tages begegnet er Nyman, dem Hausmeister des Gerichtsgebäudes. Einer Eingebung folgend, fragt er nach Sture. Hausmeister Nyman kann ihm weiterhelfen. Sture ist zehn Jahre nach dem Unfall immer noch ans Bett gefesselt und liegt in einem Sanatorium für unheilbar Kranke in der Nähe von Västervik.
Rastlos spaziert er am Fluß entlang.
Mit seinen ausgerissenen Wurzeln in der Hand streift er ziellos umher und sucht nach einem geeigneten Fleckchen Erde, um sie einzupflanzen. Er denkt an Uppsala, aber dort gibt es nur Asphalt. Wo soll man dort pflanzen?
Anfang August kann er zu seiner großen Erleichterung endlich wieder aufbrechen. Wieder nimmt ihn der Zufall an der Hand. Wäre Ture Wickberg nicht sein Klassenkamerad gewesen, hätte er wohl niemals das Angebot bekommen, sein Studium durch eine Stelle in der Waffenhandlung von Tures Onkel in Stockholm zu finanzieren.
Sein Vater begleitet ihn zum Bahnhof. Auf dem Bahnsteig bewacht er die beiden Koffer, was Hans Olofson plötzlich wütend macht. Wer soll schon seine Koffer stehlen?
Der Zug setzt sich in Bewegung, und Erik Olofson hebt unbeholfen die Hand und winkt. Seine Lippen bewegen sich, aber Hans Olofson kann nicht hören, was er sagt. Als der Zug über die Brücke rattert, steht er am Fenster. Die Stahlstreben wirbeln vorbei, der Fluß fließt zum Meer. Dann zieht er das Fenster zu. Er ist allein im Halbdunkel des Abteils und stellt sich vor, er wäre in einem Versteck, in dem ihn nie jemand aufstöbern wird.
Aber der Schaffner der Schwedischen Eisenbahnen hat wenig Sinn für die philosophischen Aspekte geschlossener und unbeleuchteter Zugabteile. Die Tür fliegt auf, Hans Olofson fühlt sich im Kern eines großen Geheimnisses ertappt und hält dem Mann seine Fahrkarte hin, als würde er um Gnade betteln. Der Schaffner locht den Fahrschein und teilt ihm mit, daß er am frühen Morgen umsteigen muß.
In einer geschundenen Welt ist kein Platz für Angsthasen, denkt Hans Olofson.
Der Gedanke läßt ihn nicht mehr los, nicht einmal während der knapp zehn Monate, die er zwischen Uppsala und Stockholm pendelt. Er wohnt zur Untermiete bei einem Biologiedozenten, der leidenschaftlicher Pilzliebhaber ist. Ein hübsches Mansardenzimmer in einem alten Holzhaus wird sein neuer Unterschlupf. Das Haus liegt in einem verwilderten Garten, und er stellt sich vor, daß der Dozent sich einen privaten Dschungel angelegt hat.
Im Haus regiert die Zeit. An allen Wänden hängen Uhren. Hans Olofson stellt sich das Orchester der Uhrwerke vor, tickend, rasselnd, ächzend, das die Zeit und die erhabene Nichtigkeit des Lebens eicht. In Fensternischen rinnt Sand durch Stundengläser, die unablässig umgedreht werden. Eine gebrechliche Mutter durchstreift die tickenden Zimmer und überwacht die Zeitmesser …
Er erfährt, daß es sich um eine Erbschaft handelt. Der Vater des Dozenten, ein exzentrischer Erfinder, der in seiner Jugend ein Vermögen mit neuartigen Mähdreschern gemacht hatte, beschloß sein Leben als passionierter Sammler von Zeitmessern.
Die ersten Herbstmonate bleiben ihm als eine endlose Quälerei in Erinnerung, weil er das Gefühl hat, nichts zu verstehen. Die Rechtswissenschaft erscheint ihm wie eine unerforschte Keilschrift, für die ihm der Schlüssel fehlt. Jeden Tag ist er versucht, aufzugeben, mobilisiert jedoch seine Kraftreserven, bis es ihm Anfang November endlich gelingt, die Oberfläche zu durchstoßen und in das Dunkel hinter den Worten vorzudringen.
Ungefähr zur gleichen Zeit beschließt er, sein Aussehen zu verändern. Er läßt sich einen Bart stehen und die Haare zu einem Bürstenschnitt stutzen. Im Paßbildautomaten dreht er den Schemel in die richtige Position, wirft Münzen ein und studiert anschließend seinen Gesichtsausdruck. Aber hinter seinem neuen Aussehen lugt stets Erik Olofsons Gesicht hervor.
Grimmig überlegt er, wie sein Wappen
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