Das Auge des Leoparden
Kanzlei in Kitwe gibt es nicht mehr, der Rechtsanwalt ist nach Harare umgezogen. Zwei Wochen später teilt die Bank in London ihm mit, daß Judith Fillington bereits 1983 gestorben ist. Man habe seine Zahlungen auf ihr Konto daraufhin eingestellt, es bedauerlicherweise jedoch unterlassen, ihn von Judith Fillingtons Tod zu unterrichten.
Lange bleibt er mit dem Brief in der Hand sitzen und erinnert sich an ihren hilflosen Liebesakt. Jedes Leben ist immer ein abgeschlossenes Ganzes, denkt er. Nachher läßt sich nichts mehr retuschieren oder hinzufügen. So leer es auch gewesen sein mag, am Ende ist es dennoch immer ein abgeschlossenes Ganzes.
Ende November, wenige Monate vor seiner Abreise aus Afrika, fährt Hans Olofson Joyce Lufuma und ihre Töchter nach Luapula. Ihre Habe laden sie in einen der Lieferwagen. Matratzen, Kochtöpfe, Kleiderbündel. Als sie in die Nähe von Luapula kommen, folgt er Joyces Anweisungen, biegt auf einen praktisch unbefahrbaren Buschweg ein und hält schließlich vor einer Ansammlung von Lehmhütten.
Augenblicklich wird das Auto von schmutzigen und mageren Kindern umringt. Fliegenschwärme schwirren um Hans Olofson herum, als er aussteigt. Nach den Kindern kommen die Erwachsenen und nehmen Joyce und ihre Töchter sofort in ihre Gemeinschaft auf. Die afrikanische Familie, denkt Hans Olofson. Kreuz und quer sind sie miteinander verwandt und stets bereit, all das miteinander zu teilen, was sie eigentlich gar nicht haben. Das Geld, das ich Joyce Lufuma gegeben habe, wird sie zur wohlhabendsten Person in dieser Gemeinschaft machen. Aber sie wird es mit den anderen teilen, denn in den entlegenen Dörfern ist die Solidarität noch lebendig, die auf diesem Kontinent sonst nicht zu erkennen ist.
Am Dorfrand zeigt ihm Joyce, wo sie ihr Haus bauen, ihre Ziegen halten, Mais und
kassava
anbauen wird. Bis das Haus fertig ist, wird sie mit ihren Töchtern bei einer Schwester wohnen. Peggy und Marjorie werden in Chipata eine Ausbildung machen. Eine Missionarsfamilie, mit der Hans Olofson in Kontakt gekommen ist, hat versprochen, sich um die Mädchen zu kümmern und sie bei sich zu Hause wohnen zu lassen. Mehr kann ich nicht tun, hat er sich gesagt. Die Missionare werden sie wenigstens nicht nackt fotografieren und die Bilder nach Deutschland schicken. Sie werden höchstens versuchen, die Mädchen zu bekehren, aber das läßt sich nicht ändern.
Zehntausend
kwacha
hat er auf ein Sparbuch auf Joyce Lufumas Namen eingezahlt und ihr beigebracht, ihren Namen zu schreiben. Zehntausend
kwacha
hat er auch den Missionaren überwiesen. Er denkt, daß zwanzigtausend
kwacha
so viel sind, wie einer seiner Arbeiter in einem ganzen Leben verdient. Das ist alles so absurd, denkt er. Afrika ist ein Kontinent, auf dem die Proportionen an nichts erinnern, woran ich früher gewöhnt war. Problemlos kann ich aus Joyce Lufuma eine reiche Frau machen. Wahrscheinlich begreift sie nicht einmal, wieviel Geld ich ihr gegeben habe, und das ist auch besser so. Mit Tränen in den Augen verabschiedet er sich. Im Grunde verlasse ich Afrika schon jetzt. Nach dem Abschied von Joyce Lufuma und ihren Töchtern gibt es nichts mehr, was mich noch an diesen Kontinent bindet.
Als er sich in den Wagen setzt, tanzen die Töchter um ihn herum. Joyce schlägt eine Trommel, deren Klänge ihm folgen. Wieder denkt er: Wie die Zukunft aussehen wird, hängt von diesen Frauen ab. Ich kann ihnen nur einen Teil des Geldes überlassen, von dem ich mehr als genug habe. Aber die Zukunft gehört ihnen ganz allein.
Er ruft seine Vorarbeiter zusammen und verspricht, sich dafür einzusetzen, daß der neue Eigentümer alle Angestellten übernimmt. Anschließend kauft er zwei Ochsen und organisiert ein Fest. Ein Lastwagen mit viertausend Flaschen Bier kommt zur Farm. Das Fest dauert die ganze Nacht, die Feuer lodern, und betrunkene Afrikaner tanzen zum Klang unzähliger Trommeln. Hans Olofson sitzt mit den alten Männern zusammen und betrachtet die dunklen Körper, die sich um die Feuer bewegen. Heute nacht haßt mich hier keiner, denkt er. Morgen ist die Wirklichkeit dann wieder wie immer. In dieser Nacht werden keine Messer aufblitzen. Die Schleifsteine stehen still.
Morgen ist wieder alles, wie es sein muß: bis an die Schmerzgrenze gefüllt mit Gegensätzen, die eines Tages in einem notwendigen Aufstand explodieren werden. In den Schatten glaubt er Peter Motombwane zu sehen. Wer von diesen Menschen hält seinen Traum am Leben, denkt er. Jemand wird es
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