Das Auge des Leoparden
sind.
»Ein
mzungu
kam und erzählte, daß
bwana
Lars gestorben ist«, antwortet Marjorie. »Wir konnten dort nicht länger wohnen. Ein Mann, der aus dem gleichen Land stammt wie Sie, hat uns Geld für die Rückreise gegeben. Jetzt sind wir hier.«
Er fährt sie nach Hause.
»Es ist noch nicht zu spät«, sagt er. »Ich werde eine andere Lösung finden. Ihr werdet, wie beschlossen, Krankenschwestern.«
Ohne daß sie es wissen, teilen wir ein Geheimnis, denkt er. Ahnen sie vielleicht, daß Lars Håkanssons Tod mit mir und den Bildern zusammenhängt? Oder denken sie nicht so?
»Woran ist
bwana
Lars gestorben?« fragt er.
»Es war ein Unfall, hat der Mann gesagt«, antwortet Peggy.
»Ist denn die Polizei nicht gekommen?« fragt er weiter.
»Keine Polizei«, antwortet Peggy.
Der schlafende Nachtwächter, denkt er. Ich habe keine anderen Autos gesehen. War Lars Håkansson der einzige Gast? Der Nachtwächter in Lusaka hat Angst, Schwierigkeiten zu bekommen. Peggy und Marjorie haben ganz bestimmt nichts erzählt, denn man wird sie erst gar nicht gefragt haben, was in einer bestimmten Nacht in Kabwe passiert ist. Vielleicht hat es nicht einmal ein Verhör gegeben. Ein unerklärlicher Unfall, und anschließend wird ein toter schwedischer Entwicklungshelfer in einem Sarg nach Hause geflogen. Eine Notiz in den Zeitungen, eine Abordnung des Ministeriums bei der Beerdigung. Die Leute stellen Fragen, aber es heißt, daß Afrika der Kontinent des Unerklärlichen ist.
Plötzlich begreift er, daß ihn niemand für Lars Håkanssons Tod zur Verantwortung ziehen wird. Ein schwedischer Entwicklungshelfer ist auf ungeklärte Art und Weise ums Leben gekommen. Die Polizei führt Ermittlungen durch, findet pornographische Fotos, der Fall wird möglichst schnell zu den Akten gelegt.
Für den Aufbau eines Netzes von Sendern ist es nicht gerade förderlich, wenn jemand den Verdacht äußert, es könnte ein Verbrechen begangen worden sein. Die Sender sprechen mich frei, denkt er.
Er sitzt unter dem Baum vor Joyce Lufumas Lehmhütte. Peggy und Marjorie sind losgegangen, um Brennholz zu sammeln, die jüngeren Töchter holen Wasser. Joyce zerstößt Mais mit einem kräftigen Holzstock.
Entscheidend für die Zukunft Afrikas wird sein, was mit Afrikas Frauen geschieht, denkt er. Während die Männer in den Dörfern im Schatten der Bäume sitzen, arbeiten die Frauen auf dem Feld, gebären die Kinder, tragen fünfzig Kilo schwere Säcke mit Mais meilenweit auf ihren Köpfen. Meine Farm, deren Belegschaft hauptsächlich aus Männern besteht, ist kein getreues Abbild Afrikas. Die afrikanischen Frauen tragen den Kontinent auf ihren Köpfen. Man glaubt, ein Bild von Stärke und Selbstbewußtsein vor sich zu haben, wenn man eine Frau mit einer solchen Last auf dem Kopf sieht, aber niemand bedenkt die Rückenleiden, die eine Folge dieser Lasten sind.
Joyce Lufuma ist vielleicht fünfunddreißig Jahre alt. Sie hat vier Töchter zur Welt gebracht, und noch reicht ihre Kraft, um den Mais mit einem Stock zu zerstampfen. In ihrem Leben hat es niemals Raum zum Nachdenken gegeben, nur für die Arbeit, lebenserhaltende Arbeit. Vielleicht hat sie sich vage Hoffnungen gemacht, zwei ihrer Töchter könnten die Chance bekommen, ein anderes Leben zu führen. Ihre Träume sind allein ihren Töchtern gewidmet.
Der Stock, der den Mais trifft, klingt wie ein Trommelschlegel. Afrika ist eine Frau, die Mais zerstößt, denkt er. Von diesem Punkt müssen alle Überlegungen über die Zukunft des Kontinents ausgehen.
Joyce Lufuma hält inne und beginnt ihr Mehl zu sieben. Ab und zu wirft sie ihm einen Blick zu, und wenn ihre Blicke sich begegnen, lacht sie, so daß ihre weißen Zähne aufblitzen. Arbeit und Schönheit sind untrennbar miteinander verbunden, denkt er. Joyce Lufuma ist die schönste und würdevollste Frau, der ich in meinem Leben begegnet bin. Meine Liebe zu ihr basiert auf Respekt. Ihre Sinnlichkeit vermittelt sich mir durch ihren ungebrochenen Lebenswillen. In diesem Punkt ist sie viel reicher als ich. Ihr Reichtum besteht aus ihren Mühen, die Kinder am Leben zu erhalten, ihnen immer etwas zu essen geben zu können, und nicht erleben zu müssen, daß sie wegen Unterernährung dahinsiechen und in Särgen zu Friedhöfen im Busch getragen werden.
Ihr Reichtum ist unermeßlich. Im Vergleich zu ihr bin ich ein sehr armer Mensch. Es wäre falsch zu behaupten, daß mein Geld ihren Wohlstand vergrößern würde. Es würde nur die Aufbauarbeit
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