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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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erleichtern, die sie trotz allem leistet. Und sie würde nicht im Alter von vierzig Jahren, ausgelaugt von der ganzen Plackerei, sterben müssen.
    In einer Reihe hintereinander kehren die vier Töchter mit Wassereimern und Holz auf den Köpfen zurück. An diesen Anblick werde ich mich erinnern, denkt er und erkennt, daß er beschlossen hat, Afrika zu verlassen. Nach neunzehn Jahren hat sich die Entscheidung ganz von selber ergeben. Er sieht die Töchter auf dem Pfad näher kommen. Sie halten ihre schwarzen Körper kerzengerade, um die Köpfe beim Tragen zu unterstützen. Er sieht sie und denkt an den Tag zurück, an dem er sich hinter einer verfallenen Ziegelei am Stadtrand verbarg.
    Bis hierher bin ich gekommen, denkt er. Als ich damals hinter einem verrosteten Brennofen lag, fragte ich mich, wie es wohl in der Welt aussehen mochte. Jetzt weiß ich es. Joyce Lufuma und ihre vier Töchter. Über dreißig Jahre habe ich gebraucht, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen.
    Er bleibt zum Essen, ißt
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mit Gemüse. Das Holzkohlenfeuer flackert, und Peggy und Marjorie erzählen von Lusaka. Lars Håkansson und seine Kamera haben sie schon wieder vergessen, denkt er. Was vorbei ist, ist vorbei.
    Lange bleibt er an ihrem Feuer sitzen, hört zu, wirft einzelne Worte in die Runde. Da er sich entschlossen hat, die Farm aufzugeben und aufzubrechen, hat er es nicht mehr eilig. Es bedrückt ihn nicht einmal mehr, daß Afrika ihn besiegt und so lange an ihm genagt hat, bis er nicht mehr konnte.
    Der Himmel über seinem Kopf ist sternenklar.
    Am Ende bleibt er mit Joyce Lufuma allein zurück, ihre Töchter schlafen in der Lehmhütte.
    »Bald ist es wieder Morgen«, sagt er in ihrer Sprache,
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, die er während seiner langen Jahre in Afrika halbwegs erlernt hat.
    »So Gott will, ein neuer Tag«, antwortet sie.
    Er denkt an all die Worte, die es in ihrer Sprache nicht gibt. Worte für Glück, Zukunft, Hoffnung. Worte, die nicht gebildet wurden, weil sie für diese Menschen nicht mit wiederkehrenden Erfahrungen verbunden waren.
    »Wer bin ich«, fragt er plötzlich.
    »Ein
bwana mzungu
«, antwortet sie.
    »Sonst nichts?« fragt er.
    Verständnislos schaut sie ihn an. »Gibt es denn sonst noch etwas?« fragt sie.
    Vielleicht nicht, denkt er. Vielleicht bin ich nichts anderes als ein
bwana mzungu
. Ein merkwürdiger
bwana
, der keine Kinder hat, nicht einmal eine Ehefrau.
    Spontan erzählt er ihr, was er vorhat. »Ich werde fortgehen, Joyce«, sagt er. »Andere Menschen werden die Farm übernehmen. Aber ich werde für dich und deine Kinder sorgen. Es wird vielleicht besser sein, wenn du mit den Kindern in die Gegend von Luapula zurückkehrst, wo du herstammst. Dort hast du deine Familie, deine Wurzeln. Ich werde dir genug Geld geben, damit du ein Haus bauen und genug
limas
Ackerland kaufen kannst, um ein gutes Leben zu führen. Vor meiner Abreise werde ich noch dafür sorgen, daß Peggy und Marjorie eine Ausbildung machen können. Vielleicht sollten sie lieber eine Schule in Chipata besuchen. Das liegt nicht so weit weg von Luapula und ist auch nicht so groß wie Lusaka. Aber es ist mir wichtig, daß du Bescheid weißt, und ich möchte dich bitten, vorerst noch niemandem davon zu erzählen. Die Menschen auf der Farm könnten sich sonst Sorgen machen, und das will ich nicht.«
    Sie hat ihm aufmerksam zugehört, und er hat langsam gesprochen, um ihr zu zeigen, daß er es ernst meint.
    »Ich kehre in meine Heimat zurück«, fährt er fort. »So wie du vielleicht nach Luapula zurückkehrst.«
    Plötzlich lächelt sie ihn an, als hätte sie die wahre Bedeutung seiner Worte erfaßt. »Dort erwartet dich deine Familie«, sagt sie. »Deine Frau und deine Kinder.«
    »Ja«, antwortet er, »sie warten dort und haben lange gewartet.«
    Sie erkundigt sich eifrig nach seiner Familie, und er denkt sich eine für sie aus, drei Söhne und zwei Töchter, eine Ehefrau.
    Sie würde es doch nicht verstehen, denkt er. Das Leben des weißen Mannes bleibt ihr unbegreiflich.
    Spätnachts bricht er auf und geht zu seinem Auto. Im Licht der Scheinwerfer sieht er, wie sie die Tür der Lehmhütte hinter sich schließt. Afrikaner sind gastfreundlich, denkt er. Dennoch bin ich nie in ihrem Haus gewesen.
    Ich werde nie wieder einen Hund besitzen, denkt er. Ich bin es leid, umgeben von Alarmanlagen und Tieren zu leben, die darauf abgerichtet sind, Menschen an die Gurgel zu gehen. Für einen Schweden ist es nicht normal, einen Revolver unter dem Kopfkissen liegen

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