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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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ich einmal ein paar Ratschläge auf Lager, Ratschläge, die ich mir selber hätte geben sollen, aber sie sind fort. Ich habe noch ein Jahr zu leben. Länger wohl nicht …«
    Plötzlich schnauzt er die Afrikaner an, die sein Gespräch mit Hans Olofson schweigend verfolgen.
    »Arbeitet«, schreit er. »Nicht einschlafen, arbeiten.«
    Sofort greifen sie wieder nach den Säcken.
    »Sie haben Angst vor mir«, sagt Duncan Jones. »Sie glauben, daß ich mich allmählich auflöse, um in der Gestalt eines heiligen Mannes wiedergeboren zu werden. Ich bin dabei, ein
kashinakashi
zu werden. Oder aber eine Schlange. Was weiß ich.«
    Dann dreht er sich um und geht davon. Hans Olofson sieht, daß er kurz stehenbleibt und sich mit einer Hand ins Kreuz faßt, als hätte er dort plötzlich Schmerzen. Beim Abendessen erzählt er Judith von seiner Begegnung.
    »Vielleicht kann er Klarheit gewinnen«, sagt sie. »Afrika hat ihm alle Träume genommen. Duncan sieht das Leben als eine Verpflichtung, die einem eher zufällig aufgebürdet wurde. Er trinkt sich zielstrebig und bewußt zu Tode. Ich glaube, ohne Angst zu haben. Vielleicht sollte man ihn ja beneiden. Oder sollte man doch eher Mitgefühl empfinden, weil er so gar nichts mehr erwartet?«
    »Hat er keine Frau, keine Kinder?« fragt Hans Olofson.
    »Er schläft mit schwarzen Frauen«, antwortet sie. »Möglich, daß er auch schwarze Kinder hat. Ich weiß, daß er die Frauen, mit denen er ins Bett gegangen ist, manchmal geschlagen hat. Aber ich weiß nicht, warum er das getan hat.«
    »Ich hatte den Eindruck, daß er Schmerzen hat«, sagt Hans Olofson. »Könnten es die Nieren sein?«
    »Er würde sicher antworten, daß Afrika ihn innerlich auffrißt«, erwidert sie. »Eine andere Krankheit würde er niemals zugeben.«
    Sie bittet Hans Olofson, noch etwas länger zu bleiben. Ihm wird klar, daß er einer Frau zuhört, die ihn anlügt, wenn sie vorgibt, auf die Stellenanzeigen in Südafrika und Botswana habe sich bislang niemand gemeldet.
    »Aber nicht lange«, antwortet er, »höchstens noch einen Monat, nicht mehr.«
    Eine Woche vor Ablauf der Frist erkrankt Judith nachts. Er wird davon wach, daß sie in der Dunkelheit an seinem Bett steht und seinen Arm berührt. Den Anblick, der sich ihm bietet, nachdem es ihm mit einer verschlafenen Hand geglückt ist, die Nachttischlampe einzuschalten, wird er niemals vergessen.
    Er sieht einen sterbenden, vielleicht schon toten Menschen. Judith trägt einen fleckigen alten Morgenrock. Ihr Haar ist ungekämmt und verfilzt, auf ihrem Gesicht glänzt der Schweiß, die Augen sind weit aufgerissen, so als sähen sie etwas Unerträgliches. In der Hand hält sie ihre Schrotflinte.
    »Ich bin krank«, sagt sie. »Ich brauche deine Hilfe.«
    Völlig entkräftet sinkt sie auf die Bettkante. Aber die Matratze ist weich, und ohne sich dagegen wehren zu können, rutscht sie auf den Fußboden und bleibt, den Kopf an das Bett gelehnt, sitzen. »Es ist Malaria«, sagt sie. »Ich brauche Medikamente. Nimm den Wagen, fahr zu Duncan, weck ihn, bitte ihn um Medikamente. Falls er keine hat, mußt du zu den Mastertons fahren. Du findest den Weg schon.«
    Er hilft ihr ins Bett.
    »Nimm das Gewehr mit«, sagt sie. »Schließ gut hinter dir ab. Sollte Duncan nicht aufwachen, feuere das Gewehr ab.«
    Als er den Zündschlüssel dreht, schallt laute Rumbamusik aus dem Autoradio durch die Nacht. Das ist doch Wahnsinn, denkt er, während er den widerspenstigen Schaltknüppel in die richtige Position zwingt. Nie zuvor hatte ich solche Angst. Nicht einmal als Kind, als ich über die Brücke kletterte.
    Viel zu schnell und unsicher fährt er die holprige Sandpiste hinab, rutscht vom Schaltknüppel ab und spürt den Gewehrlauf an seiner Schulter.
    Vor den Hühnerställen tauchen im Lichtkegel der Scheinwerfer die Nachtwächter auf. Ein weißer Mann in der Nacht, denkt er. Es ist nicht meine Nacht, es ist die Nacht der Schwarzen.
    Vor Duncan Jones’ Haus hupt er wie verrückt, überwindet sich, das Auto zu verlassen, findet auf der Erde einen Stein und hämmert damit gegen die Pforte in der Mauer. Die Haut platzt auf den Fingerknöcheln auf, er horcht auf Geräusche aus dem Haus, hört aber nur sein eigenes Herz. Dann holt er das Gewehr aus dem Auto, erinnert sich an den Sicherungsmechanismus und feuert einen Schuß in die fernen Sterne ab. Der Gewehrkolben schlägt gegen seine Schulter, der Schuß hallt durch die Nacht.
    »Jetzt komm schon«, ruft er. »Wach endlich aus deinem

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