Das Auge des Leoparden
der Wälder der Finnmark, auf der anderen Seite des Flusses und der Brücke …
An einem Oktobertag, etwa ein Jahr nach seiner Ankunft bei Judith, kommt sie in ihrem verwilderten Garten auf ihn zu. Es ist ein Sonntag, und nur ein alter Mann, der die Blumen gießt, ist in der Nähe. Hans Olofson nutzt den Tag, um eine Verankerung an der Pumpe, die sie mit Wasser aus dem Kafue versorgt, zu reparieren.
Er sieht ihr Gesicht im Gegenlicht und macht sich sofort Sorgen. Ich will nicht hören, was sie mir zu sagen hat, denkt er.
Sie setzen sich in den Schatten des hohen Baums, und ihm wird klar, daß sie dieses Gespräch geplant hat, denn Luka bringt ihnen Kaffee.
»Jeder Mensch kommt in seinem Leben an einen Wendepunkt«, sagt sie, »er trifft auf etwas, das er nicht will und das er fürchtet, ohne ihm aus dem Weg gehen zu können. Ich habe einsehen müssen, daß ich nicht mehr genug Kraft habe, weder für die Farm noch für Afrika, noch für das Leben, das man hier führt. Deshalb möchte ich dir einen Vorschlag machen, über den du in Ruhe nachdenken sollst, ohne mir jetzt schon eine Antwort geben zu müssen. Ich kann dir drei Monate Bedenkzeit geben. Was ich dir zu sagen habe, verlangt nämlich eine Entscheidung von dir. Ich werde in Kürze fortgehen. Ich bin immer noch krank, meine Kraftlosigkeit erdrückt mich, und ich glaube, daß ich nie mehr so viel Kraft haben werde wie früher. Ich werde nach Europa gehen, vielleicht nach Italien. Weiterreichende Zukunftspläne habe ich nicht. Aber ich möchte dir anbieten, meine Farm zu übernehmen. Sie wirft Gewinn ab, ist nicht mit Hypotheken belastet, und es deutet auch nichts darauf hin, daß sie an Wert verlieren könnte. Zeit meines Lebens gehen vierzig Prozent des Gewinns an mich. Das ist der Preis, den du bezahlen mußt, falls du die Farm übernehmen möchtest. Solltest du die Farm innerhalb der nächsten zehn Jahre verkaufen, gehen fünfundsiebzig Prozent der Verkaufssumme an mich. Nach zehn Jahren reduziert sich dieser Betrag auf fünfzig Prozent, nach zwanzig Jahren bekomme ich nichts. Für mich wäre es natürlich das einfachste, die Farm auf der Stelle zu verkaufen. Aber irgend etwas hindert mich daran, ich glaube, es ist die Verantwortung den Menschen gegenüber, die hier arbeiten. Vielleicht kann ich auch den Gedanken nicht ertragen, daß man Duncan von dem Ort vertreibt, an dem er einmal beerdigt werden soll. Ein Jahr habe ich dich auf meiner Farm beobachtet, und ich weiß, du könntest sie übernehmen.«
Sie verstummt, und Hans Olofson würde am liebsten sofort eine Übernahmeurkunde unterzeichnen. Er freut sich ohne Wenn und Aber. Die Ziegeleistimme meldet sich wieder zu Wort. Gebraucht werden, jemand sein …
»Das ist eine Überraschung«, ist dennoch alles, was er herausbekommt.
»Ich habe Angst, das einzige zu verlieren, was wirklich unersetzlich ist«, sagt sie. »Meinen Lebenswillen, die simple Kraft, die einen morgens aufstehen läßt. Alles andere läßt sich ersetzen, aber das nicht.«
»Es kommt trotzdem ein wenig überraschend«, erwidert er. »Deine Müdigkeit ist mir nicht entgangen, ich sehe sie jeden Tag. Aber gleichzeitig sehe ich auch, daß du allmählich wieder zu Kräften kommst.«
»Jeder neue Tag kostet mich große Überwindung«, antwortet sie. »Das kannst du nicht sehen, das spüre nur ich. Du mußt wissen, daß ich mich lange auf diesen Moment vorbereitet habe. Schon seit Jahren deponiere ich Geld auf Banken in London und Rom. Mein Anwalt in Kitwe ist unterrichtet. Wenn du ablehnst, verkauft er die Farm. An Kaufinteressenten wird es nicht fehlen.«
»Mister Pihri wird dich vermissen«, sagt er.
»Mister Pihri wirst du übernehmen«, antwortet sie. »Sein ältester Sohn wird auch Polizist. Den jungen Mister Pihri wirst du ebenfalls übernehmen.«
»Das ist eine schwerwiegende Entscheidung«, sagt er. »Eigentlich hätte ich schon längst die Heimreise antreten müssen.«
»Ich habe dich nicht abreisen sehen«, sagt sie. »Ich habe dich bleiben sehen. Deine drei Monate beginnen in diesem Moment, hier im Schatten dieses Baums.«
»Nach den drei Monaten kommst du zurück?« fragt er.
»Um zu verkaufen oder um zu packen«, antwortet sie. »Oder beides.«
Sie hat alles minutiös vorbereitet. Vier Tage nach ihrem Gespräch fährt Hans Olofson sie zum Flughafen von Lusaka, begleitet sie bis zum Einchecken, steht anschließend in der lauen Abendluft auf der Dachterrasse des Flughafens und sieht die große Verkehrsmaschine Fahrt
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