Das Auge des Leoparden
die Gartenarbeiter und die Frau, die für ihn wäscht. Als er ihre schweigenden Gesichter erblickt, schaudert es ihn. Ihre Gedanken kann er nicht lesen, aber sie sind trotzdem nur zu deutlich erkennbar.
Achtzehn Jahre später erinnert er sich wieder an jenen Morgen. Als wären das Bild in der Erinnerung und das Jetzt eins, kann er sich den Nebel, der über dem Kafue trieb, Lukas unergründliches Gesicht, den Schauder, der durch seinen Körper fuhr, vergegenwärtigen.
Als es fast vorbei ist, kehrt er zu jenem Augenblick im Oktober 1970 zurück und entsinnt sich seiner Wanderung durch das stille Haus und seiner Pläne für die Zukunft. Im Widerschein jener Nacht betrachtet er die vielen Jahre, ein achtzehn Jahre währendes Leben in Afrika.
Judith Fillington kehrte nie mehr zurück. Im Dezember 1970 sucht ihr Anwalt ihn auf, und zu seinem Erstaunen ist es ein Afrikaner, kein Weißer, der ihm einen Brief aus Neapel übergibt, in dem sie sich nach seiner Entscheidung erkundigt. Er teilt Mister Dobson seinen Entschluß mit, und der Anwalt verspricht, ihr zu telegrafieren und so schnell wie möglich mit den Papieren wiederzukommen, die unterzeichnet werden müssen.
Um die Jahreswende werden Unterschriften zwischen Neapel und Kalulushi ausgetauscht. Etwa zur gleichen Zeit bekommt er Besuch von Mister Pihri und seinem Sohn.
»Es bleibt alles beim alten«, sagt Hans Olofson.
»Schwierigkeiten sollte man möglichst aus dem Weg gehen«, antwortet Mister Pihri lächelnd. »Mein Sohn, der junge Mister Pihri, hat vor ein paar Tagen ein gebrauchtes Motorrad gesehen, das in Chingola zum Verkauf angeboten wurde.«
»Meine Aufenthaltsgenehmigung muß demnächst erneuert werden«, erwidert Hans Olofson. »Selbstverständlich benötigt der junge Mister Pihri ein Motorrad.«
Mitte Januar erhält er einen langen Brief von Judith, abgestempelt in Rom. »Mir ist etwas klargeworden«, schreibt sie, »was ich früher niemals zu erkennen wagte. Während meines ganzen Lebens in Afrika, von frühester Kindheit an, lebte ich in einer Welt, deren Grundlage der Unterschied zwischen Schwarzen und Weißen war. Meine Eltern bemitleideten die Schwarzen wegen ihrer Armut. Sie sahen die Entwicklung voraus und lehrten mich zu verstehen, daß die Lebensbedingungen der Weißen nur für begrenzte Zeit gelten würden, zwei oder drei Generationen vielleicht. Dann würde es zu tiefgreifenden Veränderungen kommen, und die Schwarzen würden die Aufgaben der Weißen übernehmen. Die Weißen müßten dann mit ansehen, wie man ihre eingebildete Bedeutung beschneidet, und möglicherweise zu einer unterdrückten Minderheit schrumpfen. Ich lernte, daß die Schwarzen arm sind und ihr Leben beschränkt. Aber ich lernte auch, daß sie etwas haben, woran es uns mangelt. Eine Würde, die eines Tages ausschlaggebend sein wird. Mittlerweile habe ich begriffen, daß ich diese Erkenntnis verleugnet habe, vor allem nach dem spurlosen Verschwinden meines Mannes. Ich habe die Schwarzen für sein Verschwinden verantwortlich gemacht und so für etwas gehaßt, was sie nicht getan haben. Jetzt, da Afrika weit weg ist und ich beschlossen habe, den Rest meines Lebens hier zu verbringen, habe ich wieder den Mut, mich der Erkenntnis anzuschließen, die ich bisher abgelehnt habe. Ich habe im Afrikaner ein Untier gesehen, aber nicht in mir. Es gibt im Leben eines jeden Menschen einen Punkt, an dem er das Wichtigste an einen anderen weiterreichen muß.«
Anschließend bittet sie ihn darum, sie von Duncan Jones’ Tod zu unterrichten, und nennt ihm die Adresse einer Bank auf Jersey.
Mister Dobson kommt zusammen mit Männern, die Judiths Habe in großen Holzkisten verpacken. Gewissenhaft hakt er alles auf einer Liste ab. »Was übrigbleibt, gehört Ihnen«, sagt er zu Hans Olofson.
Sie gehen zu dem Zimmer, das voller Knochen ist.
»Davon hat sie nichts gesagt«, meint Mister Dobson. »Also gehören sie Ihnen.«
»Was soll ich damit anfangen?« fragt Hans Olofson.
»Diese Frage fällt eigentlich nicht in die Zuständigkeit eines Anwalts«, antwortet Mister Dobson freundlich. »Aber ich denke, daß es zwei Möglichkeiten gibt. Entweder Sie lassen alles, wie es ist, oder Sie schaffen sie fort. Das Krokodil könnte man passenderweise wieder dem Fluß übergeben.«
Luka und er tragen die Knochen zum Fluß hinunter, und er sieht sie versinken. Der Oberschenkelknochen eines Elefanten schimmert hell im Wasser.
»Wir Afrikaner werden diese Stelle meiden,
bwana
«, sagt Luka. »Wir sehen
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