Das Auge des Leoparden
um eine Ohrfeige auszuteilen, aber Hans Olofson weicht schnell aus, so daß Under ihn nur noch symbolisch demütigen kann. Also zieht er ein Bündel Geldscheine hervor, schält einen Fünfer ab, und schmeißt ihn auf die Erde.
»Du wirst bezahlt, wie du es verdient hast. Aber es ist eine Schande, daß der Staat keine kleineren Scheine herausgibt. So bekommst du noch zu viel …«
Hans Olofson hebt den Geldschein auf und geht in den Stall, um sich von den Pferden und den Brüdern Holmström zu verabschieden.
»Was hast du jetzt vor?« fragen die Brüder, die sich für den bevorstehenden Abend unter kaltem Wasser waschen.
»Keine Ahnung«, antwortet er. »Es wird sich schon etwas ergeben.«
»Vor dem nächsten Winter hauen wir auch ab«, sagen die Brüder, während sie die Arbeitsstiefel gegen schwarze Tanzschuhe eintauschen.
Sie wollen ihm einen Schnaps anbieten. »Dieser verdammte Pferdehändler«, sagen sie und lassen die Flasche rundgehen. »Wenn du einen Saab siehst, dann sind wir das! Vergiß das nicht.«
An diesem Frühlingsabend läuft er über die Brücke, um Janine seinen Entschluß mitzuteilen. Weil sie noch nicht von Hurra-Pelles Frühlingsandacht zurück ist, schlendert er durch ihren Garten und denkt an die Nacht zurück, in der er und Sture ihre Johannisbeersträucher mit erstickendem Lack bepinselt haben. Er schreckt vor der Erinnerung zurück und möchte am liebsten nicht auf den gedankenlosen Streich zurückblicken.
Aber gibt es da überhaupt etwas zu verstehen? Besteht das Leben, das so schwer zu begreifen ist, nicht vor allem aus Rätseln, die hinter den meisten Ecken lauern, um die man biegen muß? Wer kann schon der dunklen Impulse Herr werden, die sich im Innern eines Menschen verbergen?
Geheime Kammern und wilde Pferde, denkt er. Das ist es, was man mit sich herumschleppt.
Er setzt sich auf die Eingangstreppe und denkt an Sture, der irgendwo sein muß. Aber ist er in einem weit entfernten Krankenhaus oder auf einem der entlegensten Sterne des Universums? Schon oft hat er mit dem Gedanken gespielt, zu Hausmeister Nyman zu gehen und ihn zu fragen. Aber dann ist es doch nie dazu gekommen.
Allzuviel hält ihn davon ab. Eigentlich will er es gar nicht zu genau wissen, hat das Schreckliche auch so deutlich genug vor Augen. Ein Eisenrohr, dick wie die Tülle einer Kaffeekanne, steckt in Stures Hals. Und die eiserne Lunge? Was kann das wohl sein? Er stellt sich einen großen schwarzen Käfer vor, der seinen Körper öffnet und Sture unter glänzenden Flügeln einschließt.
Aber sich nicht bewegen zu können? Tag für Tag? Ein ganzes Leben lang? Er versucht es sich vorzustellen, indem er starr auf Janines Treppe sitzt, aber es geht nicht. Er kann es nicht verstehen. Und deshalb ist es auch besser, nicht so genau Bescheid zu wissen. Auf diese Weise gibt es trotz allem ein kleine Pforte, die aufgeschoben werden kann. Eine Pforte zu der Vorstellung, daß Sture vielleicht wieder gesund geworden ist oder daß die Brücke und der Fluß und die rote Jacke nur ein Traum waren.
Es knirscht auf dem Kiesweg, Janine kommt. Er ist so in Gedanken gewesen, daß er gar nicht gehört hat, wie sie die Gartenpforte öffnete. Jetzt schnellt er in die Höhe, als wäre er bei etwas Verbotenem ertappt worden.
Janine steht in ihrem weißen Mantel und dem hellblauen Kleid vor ihm. Das Licht der Abenddämmerung fällt so, daß ihr weißes Taschentuch unter den Augen die gleiche Farbe annimmt wie ihre Haut.
Etwas zieht vorüber, ein Schauder. Etwas, das wichtiger ist als alle grausamen Pferdehändler der Welt.
Wie lange ist das jetzt her? Zwei Monate schon. Eines Morgens hatte Under ein verschüchtertes Stallmädchen zwischen die Pferde geworfen, ein Mädchen, das ihm auf einem abgelegenen Gestüt in den Wäldern Hälsinglands über den Weg gelaufen war. Eine, die einfach nur fort wollte, die was von Pferden verstand und die er auf den Rücksitz seines Buicks setzte.
Hans Olofson liebte sie über alles. Während des Monats, den sie in den Stallungen arbeitete, schwirrte er um sie herum wie ein werbender Schmetterling und trödelte jeden Abend, um mit ihr allein zu sein.
Aber eines Tages war sie verschwunden. Under hatte sie zurückgebracht und genuschelt, ihre Eltern hätten ihn andauernd angerufen, um zu hören, wie sie zurechtkomme.
Er hat sie geliebt, und in der Dämmerung, wenn das Taschentuch nicht zu sehen ist, liebt er auch Janine. Aber er fürchtet, sie könnte seine Gedanken lesen. Deshalb steht er nun
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