Das Auge des Leoparden
denn du über Revolvergriffe aus Perlmutt? Weißt du überhaupt, was Perlmutt ist?
»Nein.«
»Da siehst du es.«
»Ich werde in die Realschule gehen. Ich habe mich schon beworben. Und meine Noten sind gut genug.«
»Aha.«
»Ist das alles, was du dazu zu sagen hast?«
»Was soll ich denn sonst dazu sagen?«
»Findest du es gut?«
»Ich will doch da nicht hin.«
»Verdammt noch mal …«
»Fluch nicht.«
»Warum nicht?«
»Dafür bist du noch zu jung.«
»Wie alt muß man denn sein, um fluchen zu dürfen?«
»Tja, wer weiß …«
»Und was denkst du jetzt?«
»Ich denke, daß du besser auf dem Lager geblieben wärst. Das habe ich immer gesagt …«
Der Frühling, der Sommer, so kurz, so flüchtig, und schon ist die Zeit der Vogelbeeren gekommen, und Hans Olofson öffnet die Tore der Realschule. Was hat er sich eigentlich vorgenommen? Nicht der Beste, aber auch nicht der Schlechteste zu werden, sondern irgendwo in der Mitte des Stroms, immer weit weg vom Abgrund zu bleiben. Er hat nicht vor, an die Spitze zu gehen und davonzuziehen.
Hans Olofson wird zu einem Schüler, den die Lehrer vergessen. Langsam wirkt er, fast träge. Wenn man ihn fragt, weiß er meistens die richtige Antwort. Aber warum meldet er sich niemals, wenn er die Antwort doch weiß? In Erdkunde kennt er sich jedenfalls mit den exotischsten Orten aus. Über Pamplemousse kann er erzählen, als wäre er dort gewesen, genauso wie über Lourenço Marquez, wo immer das liegen mag.
Hans Olofson ertrinkt nicht in der Wissensflut, in der er vier lange Jahre schwimmt. Unnahbar und möglichst unsichtbar verharrt er im Mittelfeld der Klasse. Dort steckt er sein Revier ab und richtet sich sein Versteck ein, das ihn wie eine Barriere vor Zweifeln schützt.
Was erhofft er sich von diesen vier Jahren? Zukunftspläne hat er nicht, und seine Träume sind so anders.
Mit steter Besessenheit erhofft er sich von jeder Schulstunde, daß sie ihm den Sinn enthüllen möge. Er träumt von dem alles entscheidenden Augenblick, in dem er seine Bücher zuschlagen, aufstehen und gehen kann, um nie mehr zurückzukehren. Aufmerksam beobachtet er die Lehrer, sucht einen Wegweiser.
Aber das Leben ist, wie es ist, und es lodern noch zahlreiche andere Feuer in ihm während dieser letzten Jahre am Fluß. Er kommt in das Alter, in dem jeder Mensch sein eigener Brandstifter ist, ausgerüstet mit einem Stück leicht entzündlichen Feuersteins in einer unergründlichen Welt. Leidenschaften flammen auf und verlöschen, gewinnen wieder an Kraft, verzehren ihn, lassen ihn aber immer wieder lebendig aus der Asche aufsteigen.
Die Leidenschaft entfesselt Kräfte, denen er hilflos gegenübersteht. Er glaubt, in diesen Jahren die letzten Fesseln zu sprengen, die ihn noch an seine Kindheit binden, an jene Zeit, die vielleicht in der Ruine der Ziegelei begann und endete, als er entdeckte, daß er er selbst und kein anderer war, ein Ich und kein anderes Ich.
Und die Leidenschaften entflammen zu den müden Klängen von Kringströms Orchester, bestehend aus Baß und Schlagzeug, Klarinette, Gitarre und Akkordeon. Mit einem Seufzen stimmen sie zu Tode erschöpft nach tausend Jahren ununterbrochenen Spiels in der zugigen Tanzrotunde des Gewerkschaftshauses »Rote Segel im Sonnenuntergang« an. Kringström, der sich kaum an seinen Vornamen erinnern kann, leidet an chronischer Bronchitis, nachdem er sein ganzes Leben in der Wärme rußender Kamine und im Durchzug von Türen gestanden hat, die in einem ewigen Kreislauf geöffnet und geschlossen werden. Einst, in einer verlorenen Jugend, träumte er davon, Komponist zu werden. Kein schwerer Miesepeter, der Noten für die Nachwelt schrieb, wollte er werden, sondern leicht und populär, ein Meister des Schlagers. Was aber wurde aus ihm? Was bleibt vom bleichen Lächeln des Lebens? Die Melodien kamen ihm abhanden, fanden sich niemals auf seinem Akkordeon ein, so sehr er auch um Inspiration flehte, so sehr er auch fingerte. Alles war bereits geschrieben worden und, um zu überleben, gründete er sein Tanzorchester. Die Musiker, die nun schweren Schritts die Dielen der Tanzrotunde betreten, werden bis zu dem Moment weiterspielen, in dem die Ewigkeit sie von der letzten Klippe stürzt. Die Musik, die früher ein Traum war, ist zu einer Qual geworden. Kringström hustet und sieht sich einen qualvollen Tod an Lungenkrebs erleiden. Aber er spielt weiter, und wenn der letzte Ton verklungen ist, nimmt er den matten Applaus entgegen. Vor dem Podium
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