Das Auge des Leoparden
er.
Spontan nimmt sie Anteil an seiner Trauer und beginnt zu jammern, wirft sich auf die Erde, schreit die Trauer heraus, die eigentlich seine ist.
Andere Frauen kommen hinzu, begreifen, daß der Vater des weißen Mannes in einem weit entfernten Land gestorben ist, und fallen augenblicklich in den Chor der Wehklagenden ein. Hans Olofson setzt sich unter einen Baum und zwingt sich, dem schrecklichen Jammern der Frauen zuzuhören. Sein Schmerz ist stumm, eine Angst, deren Nägel sich in seinen Körper krallen.
Er kehrt zu seinem Auto zurück, hört die Frauen hinter sich schreien und denkt, daß Afrika Erik Olofson die letzte Ehre erweist. Einem Seemann, der im Meer der nordschwedischen Wälder ertrunken ist …
Wie zu einer Wallfahrt bricht er zu den Quellen des Sambesi im äußersten Nordwesten des Landes auf. Er reist nach Mwinilunga und Ikkelenge, übernachtet in seinem Auto vor dem Missionskrankenhaus bei Kalenje Hill und nimmt anschließend die praktisch unbefahrbare Sandpiste, hinunter in das Tal, in dem der Sambesi entspringt. Lange läuft er durch den dichten menschenleeren Busch, bis er die Quelle erreicht.
Ein unscheinbarer Steinhaufen markiert die Stelle. Er geht in die Hocke und sieht vereinzelte Tropfen von gespaltenen Steinblöcken herabfallen. Ein Rinnsal, nicht breiter als seine Hand, schlängelt sich zwischen Steinen und Buschgras hindurch. Er hält eine gewölbte Hand in das Rinnsal und unterbricht den Lauf des Sambesi.
Erst am späten Nachmittag verläßt er den Ort, um sein Auto vor Einbruch der Dunkelheit zu erreichen.
Jetzt hat er beschlossen, für immer in Afrika zu bleiben. Es gibt nichts mehr, wohin er zurückkehren könnte. Aus seiner Trauer schöpft er die Kraft, ehrlich mit sich zu sein. Er wird seine Farm nie in das politische Vorbild verwandeln können, von dem er geträumt hat. Obwohl er sich geschworen hat, sich niemals in idealistischen Irrwegen zu verlieren, hat er genau das getan.
Ein weißer Mann kann den Afrikanern niemals als ihr Vorgesetzter helfen, ihr Land zu entwickeln. Von unten, von innen kann man Wissen und neue Arbeitsmethoden vermitteln, aber niemals als ein
bwana
. Niemals als jemand, der alle Macht in den eigenen Händen bündelt. Die Afrikaner durchschauen unsere Worte und Maßnahmen, sie sehen den weißen Mann, dem alles gehört, und sie nehmen die Lohnerhöhungen, die Schule oder die Zementsäcke, die er ihnen freundlicherweise zur Verfügung stellt, dankbar an. In seinen Ideen über Einfluß und Verantwortung sehen sie unwichtige Launen, überraschende Aktionen, mit denen die Chancen des einzelnen Vorarbeiters wachsen, zusätzlich Eier oder Ersatzteile abzuzweigen, um sie anschließend zu verkaufen.
Ihre lange koloniale Vergangenheit hat den Afrikanern alle Illusionen genommen. Sie kennen die Unberechenbarkeit der Weißen, die laufend eine Idee gegen eine neue austauschen und dann augenblicklich verlangen, daß der schwarze Mann sich dafür begeistert. Ein weißer Mann fragt nie nach Traditionen, geschweige denn nach den Ansichten der Ahnen. Der weiße Mann arbeitet schnell und hart, aber Eile und Ungeduld sind in den Augen der Schwarzen ein Zeichen fehlender Intelligenz. Die Weisheit des schwarzen Mannes basiert darauf, lange und gründlich nachzudenken.
An der Quelle des Sambesi findet er zu einem abgeklärten, illusionslosen Ausgangspunkt. Ich habe meine kapitalistisch aufgebaute Farm mit einer Fassade aus sozialistischen Träumen betrieben, denkt er. Ich habe mich mit etwas Unmöglichem beschäftigt und mich geweigert, selbst die grundlegendsten Widersprüche zu erkennen. Ich bin immer von mir und meinen Ideen ausgegangen, niemals von den Gedanken der Afrikaner, niemals von Afrika.
Von dem Gewinn, den meine schwarzen Arbeiter erwirtschaften, gebe ich einen größeren Teil als Judith Fillington oder die anderen Farmer an die Arbeiter zurück. Die Schule, die ich errichtet habe, die Schuluniformen, die ich bezahle, sind dennoch ihr Werk, nicht meins. Meine Hauptaufgabe ist es, die Farm zusammenzuhalten und nicht zu viele Diebstähle oder manipulierte Anwesenheitslisten zuzulassen. Sonst nichts. Mir bleibt nur, die Farm eines Tages einem Arbeiterkollektiv zu übertragen, ihnen den Besitz zu überlassen.
Aber selbst das ist eine Illusion. Dafür ist die Zeit noch lange nicht reif. Die Farm würde verfallen, einige wenige würden sich bereichern, andere würden in noch größere Armut gestoßen.
Mir bleibt keine andere Wahl, als die Farm auch in Zukunft
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