Das Auge des Leoparden
zu Joyce Lufumas Haus. Dort hofft er auf Rettung, aber sie tritt ihm mit einem Strick in der Hand entgegen, und er erwacht in dem Moment, in dem ihm klar wird, daß sie und ihre Töchter ihn am Baum hochziehen werden, den Strick als Schlinge um seinen Hals gelegt.
Als er Joyce nach seiner Genesung zum erstenmal besucht, erinnert er sich wieder an seinen Traum. Vielleicht ist es trotz allem ein Zeichen, denkt er. Sie nehmen meine Fürsorge an und sind abhängig von mir, haben aber allen Grund, mich zu hassen, das vergesse ich allzu oft. Ich vergesse die einfachsten Gegensätze und Wahrheiten.
Der Zeitbogen wölbt sich weiter über seinem Leben und dem Fluß, den er in sich trägt. Immer wieder kehrt er in Gedanken zu jenem weit entfernten Brandherd in einer kalten Winternacht zurück, den er nie besucht hat. Er stellt sich das Grab seines Vaters vor und nachdem er achtzehn Jahre in Afrika verbracht hat, beginnt er, sich nach seinem eigenen umzuschauen.
Er geht zu der Anhöhe, auf der Duncan Jones nun schon seit vielen Jahren ruht, und läßt den Blick schweifen. Es ist später Nachmittag, und die Sonne ist rot vom feinen Staub, der unablässig über dem afrikanischen Kontinent wirbelt. Er sieht seine langgestreckten weißen Hühnerställe im Gegenlicht, sieht Arbeiter, die sich nach ihrem Tagwerk auf den Heimweg machen. Es ist Oktober, kurz vor dem Beginn der Regenzeit. Die Erde ist verbrannt und knochentrocken, und nur vereinzelt leuchten Kakteen als grüne Flecken in der ausgedörrten Landschaft. Der Kafue führt kaum noch Wasser. Abgesehen von einer schmalen Rinne in der Mitte ist das Flußbett ausgetrocknet. Die Flußpferde sind zu entlegenen Wasserlöchern gezogen, und auch die Krokodile werden erst zurückkehren, wenn es regnet.
Er zupft das Unkraut auf Duncan Jones’ Grab aus, blinzelt in die Sonne und sucht nach einer Grabstelle für sich. Aber er will sich nicht entscheiden, weil er den Tod damit vorzeitig anlocken könnte.
Aber was heißt hier vorzeitig? Welcher Mensch kann die für ihn abgesteckte Zeit überblicken?
Zwanzig Jahre Leben mit afrikanischem Aberglauben hinterlassen bei jedem Spuren, denkt er. Ein Afrikaner würde sich niemals nach seinem Grab umschauen, geschweige denn den Ort dafür bestimmen. Für ihn hieße das, den Tod lauthals anzulocken.
Im Grunde stehe ich auf diesem Hügel, weil sich mir von hier aus eine schöne Aussicht bietet.
Hier gibt es die endlosen Horizonte, nach denen mein Vater immer gesucht hat. Finde ich die Landschaft eigentlich so schön, weil ich weiß, daß ein Stück davon mir gehört?
Hier hat alles angefangen, und hier geht es vielleicht auch zu Ende, eine zufällige Reise und noch zufälligere Begegnungen haben mich hierher geführt.
Eines Tages beschließt er, Mutshatsha noch einmal zu besuchen, und bricht überstürzt auf. Es ist mitten in der Regenzeit, und die Straßen sind wie flüssiger Lehm. Dennoch fährt er schnell, so als würde er verzweifelt versuchen, vor etwas zu fliehen. Die Mutlosigkeit durchbricht alle Dämme, Janines Posaune ertönt in seinem Kopf.
Er kommt nie in Mutshatsha an. Plötzlich ist die Straße verschwunden. Ein Vorderrad hängt über einem Abgrund, und er blickt in eine Schlucht hinab, die sich unter ihm geöffnet hat. Die Straße ist weggesackt, die Straße nach Mutshatsha ist verschwunden. Als er wenden will, bleibt er im Schlamm stecken. Er reißt Büsche aus und unterlegt damit die Räder, aber die Reifen drehen weiter durch. In der kurzen Dämmerung trommelt der Regen herab, und er setzt sich in den Wagen und wartet. Vielleicht kommt ja niemand, denkt er. Während ich schlafe fallen womöglich Wanderameisen in das Auto ein, und wenn die Regenzeit vorbei ist, gibt es hier nur noch mein abgenagtes Skelett, blankpoliert wie ein Stück Elfenbein.
Am nächsten Morgen hört es auf zu regnen, und die Einwohner eines Dorfs in der Nähe helfen ihm mit dem Auto. Am späten Nachmittag erreicht er wieder seine Farm.
Der Zeitbogen wölbt sich, neigt sich jedoch auf einmal wieder zur Erde hinab.
Im verborgenen gruppieren sich wieder Menschen in seiner Nähe, ohne daß er bemerkt, was um ihn her vorgeht. Es ist Januar 1987.
Achtzehn Jahre hat er in Afrika verbracht.
Die Regenzeit will in diesem Jahr kein Ende nehmen. Der Kafue tritt über die Ufer, die Wolkenbrüche drohen seine Hühnerställe unter Wasser zu setzen. Lieferwagen bleiben im Schlamm stecken, umstürzende Leitungsmasten sorgen für längere Stromausfälle. Es ist
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