Das Auge des Leoparden
eine Regenzeit, wie er noch keine erlebt hat.
Und es herrscht Unruhe im Land. Menschenmengen sind in Bewegung, in den Städten des Copperbelts und in Lusaka gehen hungernde Menschen auf die Straße. Einer seiner Lieferwagen wird auf dem Weg nach Mufulira von einer aufgebrachten Menschenmenge gestoppt und ausgeplündert. Nachts fallen Schüsse, und die Farmer vermeiden es, ihre Häuser zu verlassen.
Als Hans Olofson eines frühen Morgens zu seinem Büro kommt, hat jemand das einzige Fenster der Lehmhütte mit einem Stein eingeworfen. Er verhört die Nachtwächter, aber niemand hat etwas bemerkt.
Ein alter Arbeiter steht ein wenig abseits und beobachtet die Verhöre, die Hans Olofson führt. Etwas im Gesicht des Arbeiters läßt ihn plötzlich verstummen, und er schickt die Nachtwächter ohne Strafe nach Hause.
Er ahnt eine Bedrohung, ohne ausmachen zu können, worin sie besteht. Die Arbeit wird getan, aber die Stimmung auf der Farm ist gedrückt.
Eines Tages ist Luka verschwunden. Als er morgens wie immer seine Küchentür aufschließt, steht Luka zum erstenmal nicht davor. Nach dem nächtlichen Regen ist die Farm in Nebel gehüllt. Er ruft nach Luka, aber vergeblich. Er stellt Fragen, aber niemand weiß etwas, keiner hat Luka gesehen. Als er zu Lukas Haus fährt, steht es offen, die Tür schlägt im Wind.
Am Abend putzt er die Waffen, die er von Judith Fillington übernommen hat, und den Revolver, den er vor mehr als zehn Jahren Werner Masterton abgekauft hat und der immer unter seinem Kopfkissen liegt. In dieser Nacht schläft er unruhig und schreckt plötzlich aus dem Schlaf auf. Er glaubt, Schritte im Haus zu hören, im Dachgeschoß, über seinem Kopf. In der Dunkelheit greift er nach dem Revolver und lauscht. Aber es ist nur der Wind, der durch das Haus fährt.
Er liegt wach, der Revolver ruht auf seinem Brustkorb.
Kurz vor dem Morgengrauen hört er ein Auto vorfahren. Gleich darauf klopft jemand fest an die Tür. Mit dem Revolver in der Hand ruft er durch die verschlossene Tür und erkennt die Stimme von Robert, Ruth und Werner Mastertons Vorarbeiter. Er öffnet dem Mann und muß wieder feststellen, daß auch ein schwarzer Mann blaß sein kann.
»Es ist etwas passiert,
bwana
«, sagt Robert, und Hans Olofson sieht ihm an, daß er große Angst hat.
»Was ist passiert?« fragt er.
»Ich weiß es nicht,
bwana
«, antwortet Robert. »Irgend etwas. Ich glaube, es wäre gut, wenn
bwana
kommen könnte.«
Er hat lange genug in Afrika gelebt, um den Ernst in der rätselhaften Ausdrucksweise des Afrikaners zu erkennen.
Hastig zieht er sich an, steckt den Revolver in die Tasche und nimmt die Schrotflinte in die Hand. Er schließt hinter sich ab, fragt sich erneut, wo Luka ist, setzt sich in den Wagen und folgt Robert. Schwarze Regenwolken ziehen am Himmel vorüber, als die beiden Autos in die Auffahrt zum Haus der Mastertons biegen.
An diesen Ort bin ich in einer anderen Zeit und als ein anderer Mensch gekommen, denkt er. Er erkennt Louis unter den Afrikanern, die vor dem Haus stehen.
»Warum steht ihr hier?« fragt er.
»Das ist es ja gerade,
bwana
«, antwortet Robert. »Die Türen sind abgeschlossen, genau wie gestern.«
»Vielleicht sind sie verreist«, meint Hans Olofson. »Wo ist ihr Auto?«
»Es ist weg,
bwana
«, antwortet Robert. »Aber wir glauben trotzdem nicht, daß sie verreist sind.«
Er betrachtet das Haus, die massive Fassade, geht um das Haus herum und ruft zu ihrem Schlafzimmer hinauf. Die Afrikaner folgen ihm mit etwas Abstand und warten ab.
Plötzlich bekommt er Angst. Es ist etwas passiert.
Er hat Angst vor dem, was er sehen wird, bittet Robert aber dennoch, ein Brecheisen aus seinem Auto zu holen. Als er die Haustür aufbricht, schlägt die Alarmanlage nicht an. Als die Tür nachgibt, entdeckt er im gleichen Moment, daß die Telefonleitung zum Haus unmittelbar neben der Hauswand gekappt worden ist.
»Ich werde allein ins Haus gehen«, sagt er, entsichert sein Gewehr und schiebt die Tür auf.
Was ihn im Innern des Hauses erwartet, ist schrecklicher, als er es sich je hätte vorstellen können. Wie in einem Horrorfilm betritt er ein Schlachthaus mit menschlichen Körpern, die zerstückelt auf dem Boden liegen.
Später erscheint es ihm unbegreiflich, warum er bei dem Anblick, der sich ihm bot, nicht das Bewußtsein verloren hat.
U ND DANN?
Was fehlt noch?
Es fehlt das letzte Jahr, bevor Hans Olofson die dichten Nadelwälder und seinen Vater Erik Olofson mit seinem stummen Traum
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