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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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Die Seemannsgewerkschaft hat natürlich protestiert, aber er hat seinen Willen durchgesetzt.«
    »Konntest du auf Händen laufen?«
    »Nein.«
    »Wovon redest du eigentlich?«
    »Davon, daß ich etwas in Stockholm zu erledigen habe.«
    »Wann fährst du?«
    »Ich habe mich noch nicht entschieden.«
    »Wie meinst du das?«
    »Vielleicht lasse ich es auch bleiben.«
    »Natürlich fährst du! Du kannst doch nicht noch länger im Wald herumlungern.«
    »Ich lungere nicht im Wald herum.«
    »Du weißt schon, was ich meine. Sobald ich mit der Schule fertig bin, gehen wir fort.«
    »Und wohin?«
    »Wir könnten doch auf dem gleichen Schiff anheuern.«
    »Auf einem Vaxholmschiff?«
    »Was weiß denn ich! Jedenfalls will ich hier weg. Ich will in die Welt hinauskommen.«
    »Dann warte ich, bis du mit der Schule fertig bist.«
    »Du sollst nicht mehr warten! Du sollst jetzt fahren.«
    »Das geht nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Es ist schon zu spät.«
    »Zu spät?«
    »Die Bewerbungsfrist ist abgelaufen.«
    »Wann denn?«
    »Vor einem halben Jahr ungefähr.«
    »Vor einem halben Jahr?«
    »Ja.«
    »Und das erzählst du mir erst jetzt? Warum bist du nicht gefahren?«
    »Ich wollte erst mit dir reden.«
    »Oh, mein Gott …«
    »Was ist denn?«
    »Wir müssen hier weg. Man kann hier nicht leben. Wir müssen hier raus und die Welt neu entdecken!«
    »Ich glaube, ich werde dafür langsam etwas zu alt.«
    »Du wirst alt davon, daß du durch den Wald stiefelst.«
    »Ich stiefele nicht durch den Wald! Ich arbeite …«
    »Ich weiß. Aber trotzdem …«
    Vielleich tut er es doch, denkt Hans Olofson. Vielleicht bricht er wieder auf. Das Meer ist ein Teil von ihm, das ist mir klargeworden … Er läuft zu Janine, um ihr davon zu erzählen. Nie wieder werde ich ihn nachts in der Küche herumkriechen sehen müssen, das Putzwasser bis zum Hals.
    Auf der Brücke bleibt er stehen und schaut auf das Wasser hinab, auf dem Eisschollen zum Meer schaukeln. Weit weg in dieser Richtung liegt die Welt, die neue Welt, und wartet auf die Eroberer der neuen Zeit. Die Welt, die er sich gemeinsam mit Janine erschließt …
    Aber unterwegs gabelt sich der Weg, und sie schlagen verschiedene Richtungen ein. Hans Olofson erlebt die Veränderungen als Wartezeit. Seine Wallfahrt wird ihn, mit oder ohne Erik Olofson, in eine Welt führen, die andere für ihn ordnen.
    Janines Gedanken gehen in eine andere Richtung. Für sie ist die Entdeckung entscheidend, daß die unfaßbare Armut weder eine Laune der Natur noch gottgegeben ist. Sie sieht Menschen vor sich, die zum eigenen Vorteil bewußt barbarische Grausamkeit einsetzen. So trennen sich ihre Wege in der Mitte der Welt.
    Hans Olofson wartet, Janine dagegen glaubt, etwas tun zu müssen, was über die Fürbitten für alle Notleidenden unter Hurra-Pelles Leitung hinausgeht. Die Frage wird immer dringlicher und verfolgt sie bis in ihre Träume. Deshalb beginnt sie, nach eigenen Ausdrucksmöglichkeiten zu suchen. Ein privater Kreuzzug, denkt sie. Ein einsamer Kreuzzug, um von der Welt zu berichten, die jenseits der Wälder liegt.
    Langsam reift in ihr ein Entschluß, und ohne Hans Olofson einzuweihen, beschließt sie, sich an der Straßenecke zu postieren. Sie spürt, daß sie diese Entscheidung allein treffen muß. Bevor sie dort zum erstenmal gestanden hat, kann sie niemanden an ihrem Kreuzzug teilhaben lassen …
    Besagten Samstagmorgen im März hat Hans Olofson in der Garage des Försters verbracht, wo er mit einem von dessen Söhnen vergebens versucht hat, einem alten Motorrad neues Leben einzuhauchen. Deshalb erfährt er erst am späten Nachmittag, als er an Pettersons Kiosk halt macht, was vorgefallen ist. Sein Herz krampft sich zusammen, als er hört, was Janine getan hat. Er denkt, daß er nun bloßgestellt worden ist. Sicher wissen alle, daß er sich zu ihrer Tür schleicht, obwohl er immer versucht hat, unbeobachtet zu bleiben, wenn er durch ihre Gartenpforte gegangen ist. Sofort haßt er sie, als hätte sie in Wahrheit die Absicht gehabt, ihn in ihre Erniedrigung mit hineinzuziehen. Er hat das Gefühl, sich auf der Stelle distanzieren, sich von ihr absetzen zu müssen.
    »So eine alte Schachtel ohne Nase kann einem doch egal sein«, sagt er.
    Eigentlich waren sie verabredet, aber nun verbringt er den Abend im Gewerkschaftshaus, tanzt mit allen, die er kriegen kann, und stößt im Gedrängel auf der Herrentoilette die unflätigsten Bemerkungen über Janine aus, die ihm nur einfallen. Als Kringströms

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