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Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
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gefallen. Auch wenn ihr Auto und andere Wertsachen verschwunden sind, steckt hinter diesem besinnungslosen Doppelmord mehr; aufgestauter Haß, der sich entladen hat. Es ist ein rassistischer Mord, ein politischer Mord. Ruth und Werner Mastertons Schicksal wurde durch selbsternannte schwarze Rächer besiegelt.
    Bei einem Nachbarn der Mastertons trifft sich die weiße Kolonie zu einer improvisierten Versammlung, um über bessere Sicherheitsmaßnahmen zu diskutieren, aber Hans Olofson nimmt nicht teil. Er sagt, daß er nicht die Kraft dazu habe, und jemand schlägt vor, ihn abends zu besuchen, um zu berichten, was sie besprochen haben, aber er lehnt dankend ab. Er hat seine Hunde und seine Waffen, er wird sich in acht nehmen.
    Als er nach Hause kommt, regnet es. Ein Wolkenbruch geht nieder, so daß er praktisch nichts sehen kann. Plötzlich glaubt er einen schwarzen Schatten zu beobachten, der hinter dem Haus verschwindet, als er auf den Hof einbiegt. Lange bleibt er im Auto sitzen, während die Scheibenwischer frenetisch arbeiten. Ich habe Angst, denkt er. Mehr als je zuvor in meinem Leben. Wer immer Ruth und Werner ermordet hat, er hat sein Messer auch in mich gestoßen. Er entsichert das Gewehr, läuft durch den Regen, schließt die Tür auf und schlägt sie hinter sich zu.
    Der Regen trommelt auf die Dachpfannen herab, und der Schäferhund, den er zu seinem vierzigsten Geburtstag bekommen hat, hockt merkwürdig still auf dem Küchenfußboden. Sofort regt sich in ihm der Verdacht, daß jemand in seiner Abwesenheit im Haus war. Etwas im Verhalten des Schäferhunds beunruhigt ihn. Normalerweise läuft ihm der Hund freudig entgegen, jetzt ist er unerklärlich still.
    Er betrachtet den Hund, den er von Ruth und Werner Masterton bekommen hat, und erkennt, daß die Wirklichkeit sich allmählich in einen Alptraum verwandelt.
    Er hockt sich vor den Hund und krault ihn hinter den Ohren. »Was hast du denn«, flüstert er. »Sag mir, was los ist, zeig mir, wenn hier etwas passiert ist.«
    Mit entsicherter Waffe geht er durch sein Haus, leise gefolgt von seinem Hund. Obwohl er keine Anzeichen dafür findet, nichts verschwunden ist oder sich verändert hat, kann er das Gefühl nicht abschütteln, daß jemand in seinem Haus war.
    Er läßt den Hund zu den anderen Schäferhunden hinaus.
    »Haltet Wache«, sagt er.
    Die Nacht verbringt er auf einem Stuhl. Seine Waffen liegen neben ihm. Er denkt, daß es einen grenzenlosen Haß auf die Weißen gibt, der ihm erst jetzt wirklich bewußt geworden ist. Nichts spricht dagegen, daß auch er von diesem Haß umgeben ist. Der Preis, den er für sein komfortables Leben in Afrika zahlt, besteht darin, daß er nun mit seinen Waffen Wache hält.
    Im Morgengrauen schläft er auf seinem Stuhl ein, kehrt im Traum in seine Vergangenheit zurück und sieht sich mühsam durch meterhohen Schnee stapfen, ein vermummtes Bündel in Schneeschuhen, die immer zu groß sind. Janines Gesicht und Céléstine in ihrer Vitrine tauchen auf.
    Er schreckt aus dem Schlaf und begreift, daß ein Klopfen an der Küchentür ihn geweckt hat. Er entsichert sein Gewehr und öffnet die Tür. Luka steht vor ihm. Jäh packt ihn die Wut, und er richtet die Waffe auf Luka, preßt den kalten Lauf gegen seinen Brustkorb. »Die beste Erklärung, die du mir je gegeben hast«, brüllt er, »die will ich jetzt hören. Und zwar auf der Stelle. Sonst kommst du nie wieder in mein Haus.«
    Sein Wutanfall und das entsicherte Gewehr scheinen den würdevollen schwarzen Mann vor ihm nicht zu beeindrucken. »Eine weiße Schlange warf sich an meine Brust«, sagt er. »Wie eine lodernde Flamme bohrte sie sich durch meinen Körper. Um nicht zu sterben, mußte ich einen
kashinakashi
aufsuchen. Er wohnt weit weg, er ist schwer zu finden. Einen Tag und eine Nacht ging ich, ohne Rast zu machen. Er empfing mich und befreite mich von der weißen Schlange. Dann bin ich sofort zurückgekommen,
bwana

    »Du lügst, du dreckiger Neger«, erwidert Hans Olofson. »Eine weiße Schlange? Es gibt keine weißen Schlangen, es gibt keine Schlangen, die sich in den Brustkorb eines Menschen bohren. Dein Aberglaube interessiert mich nicht, ich will die Wahrheit wissen.«
    »Was ich sage, ist die Wahrheit,
bwana
«, antwortet Luka. »Eine weiße Schlange schob sich durch meine Brust.«
    Außer sich vor Wut versetzt Hans Olofson ihm einen Hieb mit dem Gewehrlauf. Blut läuft aus einem Riß in Lukas Wange, aber trotzdem gelingt es Hans Olofson nicht, seine stoische

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