Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Auge des Leoparden

Das Auge des Leoparden

Titel: Das Auge des Leoparden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henning Mankell
Vom Netzwerk:
ist ihm, als säße er auf dem gewaltigen Bogen der Brücke.
    Über ihm die Sterne.
    Unter ihm Janine …

III
Das Auge des Leoparden

I N HANS OLOFSONS TRÄUMEN ist der Leopard auf der Jagd.
    Das Revier ist eine entweichende Landschaft, der afrikanische Busch, der sich verändert, bis er zu den Höhlen seines Inneren wird. Ständig verschiebt sich die Perspektive. Mal ist er vor dem Leoparden, dann wieder hinter ihm, und gelegentlich nimmt er auch selbst das Wesen des Leoparden an. In seinem Traum herrscht ewige Dämmerung. Umgeben von hohem Elefantengras, steht er in einer weiten Ebene. Der Horizont erschreckt ihn. Die Landschaft des Leoparden ist eine Bedrohung, die stetig näher rückt und Nacht für Nacht in seinem rastlosen Bewußtsein erscheint.
    Manchmal wacht er mit einem Ruck auf und glaubt zu verstehen: Er wird nicht von einem, sondern von zwei Leoparden verfolgt. In seiner inneren Landschaft wird der Leopard, der einsame Jäger, seinem Wesen untreu und verbündet sich mit einem zweiten Tier. Hans Olofson kann nie erkennen, welche Waffen er selber bei seinen nächtlichen Jagden benutzt. Legt er Fallen aus, oder trägt er einen Speer mit handgeschmiedeter Eisenspitze? Oder verfolgt er den Leoparden mit leeren Händen? Die Traumlandschaft ist eine endlose Ebene, in der am fernen Rand des Blickfelds vage ein Flußbett zu erkennen ist. Er steckt das hohe Elefantengras in Brand, um den Leoparden aus der Deckung zu locken. Ab und zu glaubt er für Sekundenbruchteile den Schatten des Leoparden zu erhaschen, ein Huschen vor der mondbeschienenen Landschaft. Der Rest ist Stille und das Geräusch seiner eigenen Atemzüge, die durch den Traum hallen.
    Der Leopard überbringt eine Nachricht, denkt er beim Aufwachen. Eine Nachricht, die ich noch nicht entziffern konnte.
    In den Fieberphantasien eines Malariaanfalls erblickt er wieder das wachsame Auge des Leoparden.
    Es ist Janine, denkt er verwirrt. Das ist ihr Auge, vom Grund des Flusses schaut sie zu mir hinauf, während ich über den Bogen der Brücke balanciere. Sie hat sich ein Leopardenfell um die Schultern gelegt, damit ich nicht merke, daß sie es ist.
    Aber sie ist doch tot? Als ich aus Schweden fortging und meine alten Horizonte zurückließ, war sie schon sieben Jahre tot, und jetzt lebe ich seit fast achtzehn Jahren in Afrika.
    Der Malariaanfall schleudert ihn aus seinem Dämmerzustand heraus, und als er erwacht, weiß er zunächst nicht, wo er ist, aber der Revolver an seiner Wange erinnert ihn wieder daran. Er lauscht in die Dunkelheit hinein.
    Die Banditen haben mich umzingelt, denkt er verzweifelt. Luka hat sie hergelockt, die Telefonleitung gekappt, den Strom abgeschaltet. Sie warten in der Dunkelheit. Gleich werden sie kommen, um mir die Brust aufzureißen und mein pulsierendes Herz mitzunehmen.
    Mit letzter Kraft schiebt er sich im Bett hoch, bis er mit dem Rücken am Kopfende des Betts lehnt. Warum höre ich nichts, denkt er. Diese Stille …
    Warum grunzen keine Flußpferde am Wasser? Wo ist dieser verdammte Luka? Er schreit in der Dunkelheit, bekommt aber keine Antwort. Mit beiden Händen hält er den Revolver.
    Er wartet …

A UF DEM KÜCHENFUSSBODEN liegt in einer Blutlache Werner Mastertons abgeschlagener Kopf.
    In seinen Augen stecken Gabeln. Im Eßzimmer sitzt sein enthaupteter Körper am Tisch, die abgehackten Hände liegen vor ihm auf einem Teller, die weiße Tischdecke ist voller Blut.
    Im Schlafzimmer entdeckt er Ruth Masterton mit durchgeschnittener Kehle, der Kopf ist fast vollständig vom Körper abgetrennt worden. Sie ist nackt, und ein Oberschenkelknochen ist von einem gewaltigen Axthieb gebrochen worden. Fliegen schwirren über ihrem Körper, und er denkt, daß das, was er sieht, nicht wirklich sein kann.
    Ihm wird bewußt, daß er vor Angst weint, und als er aus dem Haus tritt, bricht er zusammen. Die wartenden Afrikaner weichen vor ihm zurück, und er befiehlt ihnen schreiend, das Haus nicht zu betreten. Robert ruft er zu, daß er die Nachbarn und die Polizei holen soll, und dann schießt er aus purer Verzweiflung mit seiner Schrotflinte in die Luft.
    Am späten Nachmittag kehrt er apathisch heim. Noch ist er zu entkräftet für die rasende Wut, die ihn später erfassen wird. Im Laufe des langen Tages hat sich das Gerücht wie ein Lauffeuer in der weißen Kolonie verbreitet. Autos sind gekommen und wieder gefahren, und schon bald sind sich alle einig: Ruth und Werner Masterton sind keinen gewöhnlichen Banditen zum Opfer

Weitere Kostenlose Bücher