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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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Wildfremden?“
    „Äh, nein.“
    „Na gut“, meinte sie langsam. „Dann warte ich. Wo soll ich mich verstecken?“
    „Du bleibst erst einmal auf der Terrasse. Er wird sich nicht zeigen, wenn du in der Nähe bist.“
    „Er ist ein verrückter Psychopath“, urteilte sie.
    Ich wusste, Rico würde da sein. Ich wusste es einfach. Wenn ich allein war, würde er kommen.
    Am Pool war niemand. Ich hoffte, er würde am Teich sitzen und auf das Wasser starren, wie er es manchmal tat, aber auch dort empfing mich Stille. Ohne ihn kam mir der Garten leer und wie ausgestorben vor. Wie ein Schulhof in den Ferien.
    „Rico?“, fragte ich. „Bist du da?“
    Nichts.
    Fast war ich versucht, den anderen Namen zu rufen. Luca. War er es doch? Dieselbe Person, mit zwei Gesichtern, von denen er mir in diesem Garten nur eins zeigte?
    Ein Wispern ging durch die Zweige über mir. Zwischen den Baumstämmen tanzten Schatten. Die Vögel flöteten ihre Abendlieder.
    Wie jemand, der verloren gegangen war, irrte ich durch den Wald. Da war schon das Gewächshaus mit den schwarzen Rosen. Ich zögerte, denn eigentlich hatte ich nicht mehr herkommen wollen. Irgendwo weit entfernt rief jemand meinen Namen. Ob Tatjana mich bereits vermisste? Hier war es jedenfalls still. So still, dass ich meinen eigenen Atem hörte, dass mein hämmerndes Herz beinahe schmerzte.
    „Rico?“, flüsterte ich.
    Plötzlich stand er vor mir. Groß und dunkel, die vertraute Gestalt in dem fleckigen Anzug, über den die Falter krochen. Ich unterdrückte einen Aufschrei. Zwischen uns war nur die Glasscheibe des Gewächshauses, und wie in einem Suchbild erschienen seine Umrisse vor dem vielfarbigen Grün. Ein wahrer Dschungel aus schwarzgrünen, glänzenden Blättern, gebogenen Stämmen, fleischigen Blüten. Manche Pflanzen trugen braune, verdorrte Blätter, die sich einrollten wie verbranntes Papier. Hellgrün verblichene Gräser mit zerrupften Ähren wuchsen aus den zersprungenen Steinplatten. Die Rosen beherrschten den Urwald mit ihren vollen schwarzen Blüten und ihrem betäubenden Duft.
    Ricos Gesicht wirkte besonders blass gegen all das Grün, und die Augen darin kamen mir viel schwärzer vor als heute Mittag. Bei ihm - oder bei Luca. Oh Gott, das machte mich ganz verrückt.
    „Hast du mich erschreckt“, sagte ich.
    Heute lächelte er nicht. Etwas war anders als sonst. Rico sah mich sehr ernst an, sehr intensiv. Seine Augen waren wie Kohlenstücke, sein Haar wie mit Tusche gezeichnet.
    „Ich hatte Angst, du kommst nicht.“ Jeder von uns hätte das sagen können, aber er sprach es zuerst aus. Seine Stimme erklang gedämpft durch das Glas.
    „Hier bin ich aber.“ Ich konnte nicht aufhören, ihn anzusehen. Die Scheibe zwischen uns machte es irgendwie leichter. Sie verwischte seine Umrisse ein wenig, und er kam mir so unwirklich vor wie eine Gestalt aus einem Traum. Ich legte meine Hand an das Glas.
    „Rico“, wisperte ich. Ich hatte so viel zu sagen, so viel zu fragen, aber ich brachte nur seinen Namen heraus. Heute im Dorf hatte ich mich unsicher gefühlt, unwohl, als wären Luca und ich Stücke in einem Puzzle, die nicht passten. Jetzt fügte sich wieder alles zusammen. Ich wusste immer noch nicht genug, aber die Nähe war wieder da. Rico war hier, wie immer. Als er seine Hand gegen meine legte, erschauerte ich, obwohl die Glaswand dazwischen war. Ich näherte mein Gesicht seinem, bis meine Brille fast gegen die Scheibe stieß. Er lächelte immer noch nicht, und obwohl er nur in einem halb zerfallenen Gewächshaus stand, kam er mir vor wie ein Gefangener, von dem mich eine Wand aus Gitterstäben trennte.
    „Bleib bei mir“, bat er.
    „Ja“, sagte ich.
    Ich wusste, dass es verrückt war. Die Rätsel schienen sich eher zu vermehren als aufzulösen, aber mein Herz zog mich zu ihm hin.
    Wir gingen beide an der Glaswand entlang, er auf seiner Seite, ich auf meiner. Die Tür war zerborsten, Glassplitter lagen auf dem Boden. Rico stieg hindurch, und einen Moment lang erwartete ich, dass er mich in den Arm nehmen und küssen würde. Doch gerade als ich die Hand nach ihm ausstrecken wollte, hob die große Motte auf seinem Ärmel drohend die Flügel, und da ließ ich es bleiben.
    „Komm“, sagte Rico. „Ich will dir etwas zeigen.“
    Etwas in mir erinnerte sich dumpf an Tatjanas Warnungen. War er hier, um mich zu entführen, weil ich mit einem Millionär verwandt war? Dann hätte er mir auch eins über den Schädel geben können, statt mich neugierig zu machen.

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