Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)
richtig.“
„Ein Doppelgänger, wie? Jetzt hör aber auf, Alicia. Luca ist Rico, und er treibt ein ganz, ganz seltsames Spiel. Und solange wir nicht wissen, was das Ganze soll, bist du in Gefahr, glaub mir.“
Versonnen kaute sie an dem knusprigen Rand und dachte gar nicht daran, mir etwas abzugeben. Aber das machte nichts. Ich hatte sowieso keinen Appetit.
Als wir zurück zum Laden gingen, warf ich einen Blick über die Schulter. Luca räumte die Teller ab und sah uns nach, wachsam und nachdenklich.
Im Gegensatz zu mir sprühte Tatjana vor Energie. Sogar mit dem Fahrrad war sie schneller als ich. Während sie die Ampelkreuzung schon überquert hatte und in den Wald einbog, hatte ich Rot und musste warten.
„Hey.“
Ich kannte diese Stimme. Ich musste mich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, wer es war.
Luca, ebenfalls mit dem Rad, hielt neben mir. „Ist sie schon vorgefahren? Ich meine, deine Freundin?“
„Ja.“ Ich wurde immer einsilbig, wenn ich nervös war.
„Gut“, meinte er.
Ich schaute starr geradeaus. Gleich würde er mich nach dem Kuss fragen. Wir konnten nicht ständig so tun, als sei nichts passiert, oder vielleicht doch? Am besten vergaßen wir es einfach.
„Entschuldigung“, platzte ich heraus. „Ich meine, wegen gestern. Das ist einfach so … ich will damit sagen …“ Ich fühlte, wie mir die Hitze übers Gesicht kroch wie ein Lavastrom. „Ich hab dich mit jemandem verwechselt.“
„Mit diesem Rico, nach dem ihr ständig fragt?“
„Genau.“
„Kein Problem.“ Er hörte sich ganz locker und unverkrampft an. Wagemutig blickte ich hoch und versuchte, ihn möglichst schnell und unauffällig zu scannen, um mir so viel wie möglich einzuprägen. Die Sonnenbräune. Eine kleine Narbe neben seinem rechten Auge. Er grinste, vielleicht eine Spur zu selbstgefällig. Seine Haare waren etwas kürzer als die des anderen Jungen, der vielleicht ebenso wenig Rico hieß wie dieser hier.
„Ich bin aus der Klapse ausgebrochen und Tatjana ist meine Wärterin“, sagte ich. „Sie passt auf mich auf, weil ich ständig dumme Sachen anstelle.“
„Aha“, sagte er und lachte. „Den Eindruck habe ich auch, dass irgendjemand auf euch zwei aufpassen sollte.“
Da war es wieder, ganz plötzlich - das Gefühl der Vertrautheit.
„Wie geht es deinen Nachtfaltern?“ Keine Ahnung, warum ich ausgerechnet mit dieser Frage herausplatzte. Weil mir auf einmal doch Zweifel kamen? Rico würde wissen, wovon ich sprach. Dieser Junge, wenn er denn wirklich ein anderer war, müsste jetzt eigentlich verwirrt reagieren.
Er war tatsächlich verwirrt. „Woher weißt du …?“ Er starrte mich an. „Davon habe ich niemals jemandem erzählt.“
Und es war doch Rico. Oder? Jetzt wusste ich gar nichts mehr. Es konnte doch nicht zwei von dieser Sorte geben, die beide besessen von diesen Viechern waren? Hatte ich mich von seinem veränderten Benehmen täuschen lassen?
„Musst du ja auch nicht“, meinte ich. „So wie die immer um dich herumschwirren.“
„Herumschwirren?“ Seinem Gesicht war anzusehen, dass er jetzt überhaupt nichts mehr kapierte. „Sie sind tot, wie sollen sie denn da noch fliegen, bitte schön?“
„Du hast tote Nachtfalter?“
„Ja, was dachtest du denn? Ich sammle sie. Aber woher weißt du das?“
„Ähm - hab nur geraten“, stammelte ich.
Die Ampel sprang auf Grün.
„Man sieht sich“, sagte er und fuhr los.
Er bog nach rechts ab und ich nach links. Tatjana wartete auf dem Waldweg.
„Wo bleibst du denn? Ich dachte schon, jemand hat dich entführt.“
„Haha“, sagte ich und verriet ihr nicht, mit wem ich mich gerade unterhalten hatte.
Der schönste Ort
Was war schlimmer: die vielen Fragen, die mir auf der Zunge brannten, oder die Sehnsucht, Rico wiederzusehen? Doch Tatjana wollte mich nicht mal alleine in den Garten gehen lassen und ließ sich einfach nicht abschütteln.
„Auf gar keinen Fall. Ich komme natürlich mit“, sagte sie. „Mit Winky. Wir kriegen ihn, falls er es wagen sollte, hier aufzutauchen. Irgendwie bezweifle ich ja, dass er es wieder versucht, jetzt, wo du über ihn Bescheid weißt. Ein Kellner! Von wegen, reicher Jüngling vom Elite-Internat.“
„Du bleibst im Hintergrund“, bestimmte ich. „Wenn er sich in Sicherheit wiegt, halte ich ihn fest und rufe dich.“
Sie beäugte mich zweifelnd; wahrscheinlich kam ihr meine plötzliche Mitarbeit verdächtig vor.
„Hast du etwa vor, mit ihm durchzubrennen? Mit einem
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