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Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition)

Titel: Das Auge des Nachtfalters: Mystery-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lena Klassen
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dem schlechten Gewissen, das sich nicht zum Schweigen bringen ließ, gefangen in Depressionen und Schuld.
    Ich nahm all meine Kraft zusammen, und dann tat ich es. Ich sagte: „Du bist Ricardo Meyrink.“
    „Was?“
    Ich wagte einen vorsichtigen Blick in sein Gesicht und merkte, dass er mir nicht glaubte. „Ricardo Meyrink“, wiederholte ich. „Es ist dein Schloss, da im Wald. Und deine Firma. Und dein Laden. Das alles gehört dir, und du bist in großer Gefahr, falls mein Onkel ahnt, wer du bist.“
    „Was soll das, Liss?“ Luca lachte ungläubig.
    „Das ist mein voller Ernst“, sagte ich. „Wir müssen zur Polizei gehen. Du brauchst Schutz.“ Noch nie war mir irgendetwas so ernst gewesen. Ich hatte so schreckliche Angst vor allem, was da auf mich zukam, dass ich am ganzen Körper zitterte. Aber ich war mir sicher: Das hier war der richtige Weg. Der einzige Weg.
    „Ich hab ein paar von Tatjanas Verschwörungstheorien mitbekommen“, sagte Luca. „Aber das hier toppt wirklich alles.“
    Bestimmt hatte sie ihm verraten, dass ich beim Psychiater in Behandlung war. Und wer hätte besser gewusst als er, dass ich auf morschen Dächern herumzuklettern pflegte? Dass ich wildfremde Jungs küsste? Er konnte gar nicht anders, als mich für verrückt zu halten.
    Jetzt war sowieso alles egal. „Ich bin mit deinem Bruder befreundet“, sagte ich. „Er ist tot, und ich will nicht, dass dir das auch passiert.“
    Luca seufzte. „Du bist mit meinem toten Bruder befreundet. Na toll. Alicia, du bist ein echt süßes Mädchen …“
    „Ich wusste, dass du mir nicht glaubst, aber hör mir zu. Du bist in großer …“
    „Nein“, unterbrach er mich, „hör du mir zu. Ich bin nicht von hier, sondern aus Italien. Ich war ein Straßenkind, und meine Eltern - meine Adoptiveltern - haben mich dort rausgeholt. Das haben sie mir gerade eben erzählt. Verstehst du? Kein Schloss, sondern die Straße. Dort komme ich her.“
    Ich starrte ihn an. Mein Vater hatte Ricardo nach Italien gebracht? Hatte ihn einfach irgendwo abgeladen, ein Kleinkind von zwei Jahren, und allein gelassen? Auf der Straße?
    Oh Papa, dachte ich, wie konntest du? Wie konntest du nur?
    Wieder begannen die Tränen zu fließen.
    Tobias Vanderen verdiente die Dämonen, die ihn verfolgten.
    Luca nahm mir die Brille ab und tupfte mir die Tränen von den Wangen. „Soll ich dich nicht besser nach Hause bringen? Du weißt wenigstens, wo du hingehörst. Oder soll ich jemanden anrufen, der dich abholt?“
    „Nein!“ Ich presste meine Tasche an mich und hörte, wie das Papier darin knisterte. „Ich … hab noch mehr. Was du dir unbedingt ansehen solltest.“
    „Lass gut sein, Liss.“ Vielleicht hatte er irgendwo gehört, dass man Verrückten nicht widersprechen sollte, denn er fügte etwas sanfter hinzu: „Später, ja? Ich schau mir alles an, versprochen. Aber nicht jetzt. Mir fehlt im Moment wirklich die Kraft dazu.“
    Ich durfte auf keinen Fall zurück, bevor er mir nicht glaubte. Mir war klar, dass ich es anders anfangen musste. Denk nach, beschwor ich mich. Das war schwer, wenn der Kopf sich anfühlte wie mit Steinen gefüllt, aber wenn ich Luca retten wollte, konnte ich jetzt nicht aufgeben.
    „Tja“, sagte ich leichthin, „da habe ich mich wohl bei Tatjana angesteckt. Verschwörungen. Finstere Geheimnisse und so. Sie dachte sogar, ihr Hund wäre ermordet worden, kannst du dir das vorstellen?“
    „Winky ist tot?“
    „Die haben wir gestern erst begraben, Thomas und ich. Ich bin immer noch ziemlich durcheinander deswegen. Na ja, und dann geht manchmal meine Phantasie mit mir durch. Tut mir leid. Du hast echt ganz andere Probleme.“
    Er nickte und sah nicht mehr besorgt, sondern nur noch traurig aus. Ich war auf dem richtigen Weg.
    „Frieden?“ Ich streckte meine Hand aus, und nach kurzem Zögern schlug er ein.
    „Okay, Frieden.“
    Ich sah mich um. Es war still hier im Park, aber das Gelände war weit und offen; jeder, der um die Schule herumkam, konnte uns hier sehen.
    „Wollen wir woanders hingehen?“, schlug ich vor.
    „Eis essen fällt aus“, sagte er grimmig. „Im Moment kriegst du mich da nicht wieder hin, das schwör ich dir.“
    „Kino?“
    „Nicht um die Uhrzeit. Wie wär‘s mit der Nachmittagsvorstellung? Um drei müsste die erste sein.“
    Ich fragte nicht, welcher Film gerade lief. Es war völlig egal. Im Kino waren wir sicher, dort konnte Onkel Vincent ihm nichts antun. Dass es Luca ebenfalls gleich war, ob wir in irgendeinen

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