Das Auge des Sehers (German Edition)
Paps! Nicht wahr, das wolltest du doch sagen?», die Frage klang ziemlich gefährlich. «Nun, was hast du mit meinem Paps besprochen, Francesco?»
Das «Francesco» klang genauso übel wie jenes «Ferrari» bei Monika.
«Nichts … ich meine … was man halt so redet.»
«Und was redet man so?»
«Small Talk. ‹Wie geht es dir?› und so.»
«Ihr duzt euch?»
«‹Wie geht es Ihnen?› … Ach, du bringst mich ganz aus dem Konzept.»
«Ich fass es nicht! Ihr zwei alten Säcke verbrüdert euch hinter meinem Rücken.»
«Ich muss schon sehr bitten! Wir sind im besten Alter, fünfzig plus. Und überhaupt, es geht dich nichts an, mit wem ich verkehre.»
«Das geht mich sehr wohl etwas an, weil ihr über mich tratscht. Wenn du glaubst, dass du …»
Was Ferrari glaubte, erfuhr er vorerst nicht, da einer der Arbeiter auf sie aufmerksam geworden war.
«Belästigt Sie der Mann?»
Ferrari sah ihr an, dass sie die Frage am liebsten mit Ja beantwortet hätte.
«Nein. Vielen Dank. Nur eine kleine Auseinandersetzung unter Kollegen. Arbeiten Sie auf der Baustelle?»
«Ich bin der Bauführer.»
«Ziemlich grosse Kiste.»
«Das gibt eine Überbauung mit zweihundert Wohnungen und einem Park. Ein Superding.»
Nadine zeigte ihm ihren Ausweis.
«Wir sind von der Polizei, Herr?»
«Petermann, Hans-Jörg Petermann.»
«Mein Name ist Kupfer und das ist mein Chef, Kommissär Ferrari.»
Die gute Laune des Bauführers war verflogen.
«Wenn Sie bei uns Schwarzarbeiter suchen, sind Sie auf dem Holzweg. Da ist unser Chef ziemlich hart am Arsch.»
«Wir wollten ihn in einer anderen Angelegenheit sprechen. Wissen Sie, wo wir ihn finden?»
«Er sitzt bei mir in der Baubaracke. Kommen Sie mit, aber passen Sie auf. Durch die Lastwagen ist die provisorische Strasse ziemlich rutschig.»
Der Satz war kaum vollendet, da rutschte Nadine aus und verlor einen Schuh.
«Verdammter Mist! Der Absatz ist abgebrochen.»
Sie klemmte sich den Schuh unter den Arm, zog den zweiten ebenfalls aus und folgte dem Bauführer. Ferraris süffisantes Lächeln nahm sie zur Kenntnis. Warte nur, das bekommst du bei Gelegenheit zurück. Und wer Nadine kannte, wusste, dass dieser Gedanke keine Drohung, sondern ein Versprechen war.
«Chef! Besuch für Sie!»
Paul Studer, so vermutete Ferrari, sah kurz von seinen Plänen auf. Als er Nadine mit den Schuhen unter dem Arm sah, erhob er sich.
«Unbefugten ist das Betreten der Baustelle verboten. Wir lehnen jede Haftung ab.»
Nadine setzte sich wortlos auf einen Stuhl.
«Die sind von der Polizei, Chef.»
Studer wurde schlagartig freundlicher.
«Haben Sie sich verletzt?»
«Es geht schon. Nur die Schuhe sind kaputt.»
Erst jetzt sah er den Kommissär.
«He! Sie kenne ich. Wir haben uns bei einem Empfang von Olivia Vischer getroffen. Sie sind doch der Chef von der Kriminalpolizei.»
«Nur ein einfacher Kommissär. Francesco Ferrari und das ist meine Kollegin Nadine Kupfer.»
«Genau. Jetzt fällts mir wieder ein. Olivia schwärmt in den höchsten Tönen von Ihnen. Hans-Jörg, ich brauche dich nicht mehr.»
Ferrari sah dem Bauführer an, dass er gern noch geblieben wäre.
«Nehmen Sie bitte Platz … Ich habe mich ja gar noch nicht vorgestellt. Paul Studer, ich bin der zuständige Architekt. Es tut mir leid, dass Ihnen ein Absatz abgebrochen ist, Frau Kupfer. Es ist verdammt rutschig da draussen. Gestern hatten wir verfluchtes Glück. Um ein Haar wäre einer der Lastwagen über den Strassenrand gerutscht. Dann wäre hier der Teufel los gewesen.»
«Ein tiefer Aushub.»
«Für die Tiefgarage. Zweihundert Wohnungen bringen auch viele Autos mit sich. Die können nicht auf der Strasse stehen. Hier, schauen Sie sich die Pläne an. Die Garage läuft über drei Etagen.»
Nadine massierte sich ihre schmutzigen Füsse, während Ferrari sich die Pläne erklären liess.
«Sehr beeindruckend.»
«Eine echte Herausforderung. Ende des nächstes Jahres soll der Komplex stehen. Im Frühjahr wird die Verwaltung mit der Vermietung beginnen. Die Wohnungen werden im Nu weg sein. Gute Wohnlage, ruhig und preislich in Ordnung. Das sind Kriterien, die gefragt sind. Suchen Sie eine neue Wohnung?»
«Mir gefällt es in Birsfelden.»
«Dort sollen die Steuern verdammt hoch sein.»
«Nicht höher als in der Stadt. Und ein Kommissär verdient nicht so viel, dass er in die höchste Steuerstufe kommt.»
«Weshalb sind Sie denn hier? Sie werden bei uns doch sicher keine Schwarzarbeiter suchen», säuselte der
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