Das Auge des Sehers (German Edition)
sie das Gespräch fort.
«Wie war deine Beziehung zu Arian Nostramo? Glaubtest du an seine besondere Begabung?»
«Ehrlich gesagt, fehlt mir der Zugang zum Übersinnlichen. Ich bin durch und durch Realist, absolut bodenständig und logisch denkend. Aber nichtsdestotrotz mochte ich Arian von Anfang an, er war ein guter Mensch, der anderen helfen wollte. Das hat mich sehr beeindruckt. Und wie gesagt, die Stiftung gab mir die Möglichkeit, auch meinen Teil zu einer besseren Welt beizutragen. Wir konnten bereits viele gute Projekte auf die Beine stellen.»
«Hättest du das nicht auch ohne ihn erreicht?»
«Nicht in diesem Stil, Nadine. Ich bin keine solch grosse Nummer, dass sich alle Türen von allein öffnen. Du weisst ja, wie es ist. Der Prophet gilt nichts im eigenen Land. Geld spielt in meinen Betrachtungen eine untergeordnete Rolle. Ich bin ein vermögender … ein reicher Mann. Das Problem liegt also nicht beim Finanziellen, sondern vielmehr bei den Behörden. Die Strukturen sind so was von verkalkt und überall sitzen Leute, die alles blockieren. Aber über Arian, die sprichwörtliche Ausnahme bezüglich des Propheten im eigenen Land, konnten wir sehr viele Projekte problemlos verwirklichen. Ich weiss nicht, wie er das gemacht hat, an seiner Seite öffneten sich Türen, die für mich für immer und ewig verschlossen geblieben wären. Und dies in grossem Stil. Ihr könnt jetzt natürlich sagen, dass wir Arian missbraucht haben, was in einem gewissen Sinne auch stimmt. Aber damit kann ich gut, sehr gut leben.» Nach einer langen Pause wandte er sich an Ferrari und fügte hinzu: «Mit der Vergabe der beiden Überbauungen habe ich nichts zu tun, Francesco. Wenn du mich verdächtigst, bist du auf dem Holzweg. Wenn du willst, lade ich Peter auf ein Bier ein und frage ihn, wie es dazu gekommen ist.»
«Ich glaube dir, Yvo. Das mit Lucie … das tut mir unendlich leid.»
«Danke. Leider ist das Leben nicht immer ein Zuckerschlecken. Ich habe so ziemlich alles erreicht, was ich will. Ich bin verdammt erfolgreich, habe eine wunderbare Tochter und Glück, zumindest meistens. Ich würde viel dafür geben, wenn es anders gelaufen wäre … Wie wärs, Francesco, gehen wir wieder einmal zusammen essen?»
«Sehr gern.»
«Ich ruf dich an. Dann können wir ein wenig über die alten Zeiten plaudern, damals auf der Horburgmatte.»
Ferrari starrte vor sich hin, kaum merklich nickend.
«So ist er schon früher gewesen, Nadine. Jetzt macht er sich Vorwürfe, dass wir uns aus den Augen verloren haben. … Komm schon, Franco, es geht mir gut.»
«Franco?»
«Francesco war uns zu lang.»
«Wir fragten Schwegler, wer Nachfolger von Arian wird. Wer ist dein Favorit?»
«Spontan würde ich Jason sagen, gäbe es da nicht ein kleines Problem.»
«Und das wäre?»
«Andrea. Sie kann Jason nicht ausstehen. Frag mich nicht, weshalb, Nadine. Aber jedes Mal, wenn sie sich in meiner Anwesenheit begegneten, ging Andrea sofort auf Distanz.»
«Hasst sie ihn?»
«Nein, das würde ich nicht unterschreiben. Es ist etwas anderes. Sie weicht ihm aus. Man muss wissen, dass Andrea eine introvertierte Frau ist und kaum jemanden an sich heranlässt. Bei Jason ist es noch eine Spur extremer, ihn blockt sie förmlich ab.»
«Gab es irgendwann einmal Streit zwischen den beiden?»
«Kann sein, aber nicht in meiner Gegenwart. Und an den Stiftungsratssitzungen war Jason bisher nie ein Thema. Andrea wird für Alura stimmen, während Thuri und ich Jason für die geeignetere Person halten.»
«Dann könnt ihr ja mit zwei zu eins über den Kopf von Andrea entscheiden.»
«Im Grunde ja. Nur das wollen und das werden wir nicht. Es geht auch mit Alura weiter. Wir müssen sowieso abwarten, wie sich das Ganze ohne Arian entwickelt.»
«Und Irion? Wie heisst er eigentlich mit bürgerlichem Namen?
«Jost Reber. Irion? Nein, der kommt gar nicht infrage. Ein netter Junge, mehr nicht, immer schön im Hintergrund … Mach nicht so ein Gesicht, Franco!»
«Wie? … Eine gute Idee, Yvo. Wir müssen uns wieder mehr treffen.»
Die Rückfahrt ins Kommissariat verbrachten sie schweigend. Ferrari sass wie ein geschlagener Hund im Auto. Verdammter Mist! Weshalb habe ich nie etwas davon mitbekommen? Mein bester Schulfreund verliert seine Frau und ich weiss nichts davon. Wir leben in zwei ganz verschiedenen Welten. Eine Welt der Schönheit, der Ästhetik und der Kultur gegen die Welt des Elends, des Bösen und des Todes. Da kann es keine Verbindung
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