Das Auge des Sehers (German Edition)
Abgemacht?»
«Ja, sehr gern.» Sie seufzte. «Damit wieder zurück zum Alltag. Kennst du einen Josef Mangold?»
«Mangold? Mangold … nein, der Name sagt mir nichts.»
«Er hat eine kleine Spenglerei», übernahm Ferrari.
«Es kann sein, dass der Name irgendwann einmal gefallen ist. Gesehen habe ich ihn noch nie. Was hat der mit dem Mord zu tun?»
«Das wissen wir noch nicht. Er nahm mit einem Baukonsortium an zwei Ausschreibungen teil. Mit reellen Chancen, doch beide Male wurde er kurz vor dem Ziel abgeschossen.»
«Ah! Jetzt verstehe ich. Du glaubst, dass ich dahinterstecke. Was sind das für Bauten?»
Nachdem ihm der Kommissär die Projekte genannt hatte, verständigte Liechti einen seiner Mitarbeiter, der einige Minuten später wieder zurückkam. Er tuschelte seinem Chef etwas zu und verschwand.
«Das Einkaufszentrum wird von Peter Gloor gebaut und die Siedlung am Baselmattweg von Paul Studer.»
«Kennst du einen von den beiden?»
«Man kennt sich. Das ist in Basel so, Nadine. Eine kleine Stadt, in der immer wieder die gleichen Personen auftauchen. So wie dein rundlicher Chef hier.»
«Ich bin nicht dick!»
«Sagt Obelix auch immer zu Asterix. Peter Gloor kenne ich nur vom Namen her. Hingegen treffe ich mich ab und zu mit Paul Studer.»
«Und du hast nicht zufälligerweise ein wenig Druck aufgesetzt, damit der Auftrag an den Quartierhandwerkern vorbeischrammt?»
Yvo Liechti lachte.
«Nadine, ich bitte dich. Es ist nicht meine Art, kleine Handwerker um ihr Brot zu bringen. Sie arbeiten verdammt hart und ich weiss, wovon ich rede. Meine Eltern hatten nämlich eine kleine Schreinerei. Ich lasse andere leben und möchte jenen helfen, die nicht so viel Glück und Möglichkeiten hatten wie wir. Über die Stiftung kann ich das tun. Zugegeben, am Anfang sass ich nur dort, weil mich Andrea darum gebeten hat. Inzwischen bin ich total fanatisch. Thuri hat euch sicher erzählt, was wir über die Stiftung tun und dass wir ziemlich viele Immobilien aufgekauft und umgebaut haben.»
«Einige wurden euch auch vererbt.»
«Richtig. Meistens sind ja keine Erben vorhanden. Wenn wir sie nicht bekommen, erhält sie die Kirche oder der Zolli. Oder noch schlimmer, die Liegenschaften gehen an den Staat, verschwinden im grossen Loch. Was ist daran so verwerflich?»
«Nichts, wenn alles mit rechten Dingen zu- und hergeht. Du hast dir nichts vorzuwerfen, oder?»
Yvo Liechti erhob sich und trat ans Fenster. Sekunden vergingen, bevor der Stararchitekt zu sprechen begann.
«Kannst du dich noch an Lucie erinnern, Francesco?»
Seine Stimme klang hohl und entrückt.
«Die kleine Lucie? Aber sicher. Wie geht es ihr?»
«Sie ist bei der Geburt unserer Tochter gestorben.»
«Ihr … du warst mit ihr verheiratet? Sie ist tot? Das tut mir leid. Ich wusste das nicht, Yvo», stammelte Ferrari.
«Ich habe es auch nicht an die grosse Glocke gehängt. Es war meine Schuld und glaube mir, es vergeht kein Tag, an dem ich mir nicht die grössten Vorwürfe mache.»
Liechti drehte sich mit Tränen in den Augen um.
«Sie war bereits im achten Monat. Ich musste beruflich nach Bulgarien, wir errichteten ein Kulturzentrum. Sie liess sich nicht davon abhalten, mitzukommen. Das sei alles kein Problem, meinte sie. Auf der Baustelle ist sie zusammengebrochen. Ohne ersichtlichen Grund. Ein Schwächeanfall. Wir brachten sie sofort ins Spital. Die Ärzte versuchten alles. Das Kind konnten sie retten … Lucie … ist zwei Tage später gestorben.»
«Es … ich weiss nicht, was ich sagen soll …»
«Ich hätte sie nicht mitnehmen dürfen. Es war einfach zu viel für sie, die Reise, die Strapazen. Wenn sie hiergeblieben wäre, würde sie noch leben.»
«Und das Kind?», flüsterte Nadine.
«Es ist mein ganzer Stolz. Ich lebe für meine Tochter. Sie wird einmal eine grosse Architektin, die grösste auf der Welt. Oder etwas anderes, was immer sie will.»
Der Kommissär rührte wie wild in seiner Kaffeetasse, was ihm einen strafenden Blick von Nadine eintrug.
«Bitte entschuldigt, meine Geschichte hat nichts mit eurem Fall zu tun. Ich will mich auch nicht aufdrängen, das ist ganz und gar nicht meine Art. Es war die Frage, ob ich mir nichts vorzuwerfen habe …» Liechti strich sich durchs Haar und rang um seine Fassung. «So, jetzt geht es wieder. Wo waren wir stehengeblieben? Ah ja, bei der Stiftung. Möchtet ihr noch etwas wissen?»
Ferrari starrte vor sich hin, er war in Gedanken weit weg. Als Nadine seinen verlorenen Blick sah, führte
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