Das Auge des Sehers (German Edition)
Verstärkung rein. Da wollte ich lieber gewappnet sein. Falsch gedacht. Nostramo lächelte nur und setzte sich an den Tisch. Faselte von wegen, wir müssen reden, sonst nichts. In einer unbeschreiblichen Ruhe legte er die Hände auf den Tisch und wartete. Ich hätte ihn mit einem Schlag platt machen können.»
«Und dann?»
«Was wohl? Wir redeten miteinander, die halbe Nacht lang. Weiss der Teufel, weshalb. Aber ich erzählte ihm alles. Dass ich pleite bin, dass er mir die Aufträge versaut hat und dass ich ihn hasse, weil er sich das Erbe der alten Burckhardt erschlichen hat … Ich sprach noch über vieles mehr», flüsterte er kaum hörbar. «Er versprach, mir zu helfen.»
Nadine rückte mit ihrem Stuhl wieder näher zum Tisch.
«Wann war das?»
«Vor etwa einem Monat. Und er half mir auch wirklich. Ich brauchte dringend vierzigtausend Franken für die Löhne. Er brachte mir das Geld bar vorbei. Stellen Sie sich das vor! Mein grösster Feind hilft mir aus der Klemme … Er verlangte nicht einmal eine Quittung dafür. Wahnsinn. Vor drei Wochen wollte mich die AHV hochgehen lassen. Die kennen nichts, die verdammten Staatskrüppel. Arian sprach mit den Leuten und bezahlte die ausstehenden Beträge. Einfach so.»
«Was geschah an jenem Abend, als Arian von einem Unbekannten angegriffen wurde?»
«An diesem Abend wollte ich mich bei Arian bedanken. Ich überlegte lange, ob ich zu ihm in die Zentrale gehen soll. Scheisssituation! Es war mir ja so was von peinlich. Ein neutraler Ort wäre mir natürlich lieber gewesen. Ich versuchte, ihn auf dem Handy zu erreichen, aber er ging nicht ran. Also bin ich doch zur Sekte hin und sah, wie zwei Personen stritten. Plötzlich schlug der eine wie verrückt auf den anderen ein. Arian lag auf dem Boden. Ich legte einen Zahn zu und warf mich dazwischen. Der Angreifer, etwa gleich gross wie ich, legte sich mit mir an. So eine weiche Schelle! Beim ersten Schlag ist er eingeknickt, mit dem zweiten holte ich ihn von den Beinen. Dann trug ich Arian ins Haus.»
«Und vorher fragten sie noch, ob sie Im Obersteg das Genick brechen sollen.»
«Habe ich das? Weiss ich gar nicht mehr. Im Obersteg heisst also das Schwein. Ist er Arians Mörder?»
«Das wissen wir noch nicht.»
«Puh. Das Gerede macht mich ganz fertig. Ich muss einen Schnaps trinken. Sie auch?»
«Nein, danke.»
«Gerne!»
Mangold stellte eine Flasche und zwei Gläser auf den Tisch.
«Sie verpassen etwas, Frau Kupfer. Prost, Herr Kommissär.»
«Prost», antwortete Ferrari, der den Augenkontakt mit Nadine tunlichst mied.
«Noch einen?»
«Wow! Starker Tobak. Ich sage nicht nein.»
«Scheisssituation! Es ist so verdammt schwierig, an Aufträge ranzukommen. Verfluchte Scheisssituation! Da steck ich bis zum Hals in der Klemme und plötzlich geschieht ein Wunder. Einer zieht mich raus, einfach so. Verstehen Sie das?»
Nach dem dritten Glas verstand der Kommissär alles. Nur Nadine nicht, die zusehends wütender wurde.
«Hört mit dem Saufen auf, wenn ihr es nicht vertragt!»
«Ist deine Kollegin immer so? Verdammt attraktiv, aber Haare auf den Zähnen.»
«Nicht immer.»
«Nicht immer, aber meistens!», gröhlte Mangold und schenkte sich nochmals nach. Nadine nahm Ferrari das Glas aus der Hand.
«Jetzt ist genug!»
«Mann, du lässt dich schön unterbuttern! Ich … Scheisse, jetzt, wo Arian tot ist, weiss ich nicht, wie das hier alles weiterbestehen soll», mit einer theatralischen Geste zeigte er durch den Raum. «Echt verrückt. Zuerst lässt er mich beinahe hopsgehen, um mich dann zu retten. Verstehst du das, Mädchen?»
«Das verstehe, wer will.»
«Siehst du! Nicht mal du begreifst es mit deinem scharfen Verstand. Wie soll ich dann? Hä?»
«Wann haben Sie Arian zum letzten Mal gesehen?»
«Am Freitag vor einer Woche … mein Geburtstag, bin sechzig geworden … er sagte, ich müsse mir keine Sorgen machen … er würde mir helfen, das Geschäft wieder flott zu machen … hat er versprochen … und jetzt murkst ihn einer einfach ab … Scheisse.»
Ferrari griff nach der Flasche, aber Nadine war eine Zehntelsekunde schneller.
«Und wie wollte er Ihnen helfen?»
«Weiss nicht … egal … hab ihm geglaubt», lallte Mangold. «War ein guter Kerl … wieso nur … wollte er mich ruinieren?»
«Haben Sie ihn nie danach gefragt?»
«Doch … das stimme nicht … siehst Gespenster, Josef … hattest Pech … Jetzt bin ich geliefert … schlage Urs zu Brei … zerlege ihn in seine Einzelstücke …
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