Das Auge des Sehers (German Edition)
Martha.»
«Du hast gehört, was mein Sohn sagt. Hast du etwa Alzheimer?»
«Ich und Alzheimer? Mein Gehirn funktioniert tadellos. Ich weiss ganz genau, dass er nicht drauf war. Aber du musst ja immer das Gegenteil behaupten.»
«Ich behaupte das also nur, um dich zu ärgern. Schön. Und was ist mit Francesco? Er sagt das Gleiche.»
«Nun streitet euch doch bitte nicht wegen eines Weihnachtsspitzes.»
«Es geht hier nicht um den Spitz, sondern ums Prinzip. Hilde wirft mir Sturheit vor. Dabei ist sie stur, nicht ich.»
Ferrari wollte sich erheben. Doch Monika drückte ihn auf den Stuhl und küsste ihn aufs Ohr.
«Du bleibst oder ich reiss dir die Eingeweide raus!», flüsterte sie ihm lächelnd zu.
«Hm! … Spitz hin oder her, wann besucht ihr eigentlich die Weihnachtsmärkte?»
«In der nächsten Woche. Wir wollten euch mit einem neuen Spitz überraschen. Da sagte Martha: ‹Die haben doch den wunderschönen roten›, und ich antwortete: ‹Der war aber beim letzten Fest nicht auf dem Baum.›»
Fast hätten wir die Kurve gekriegt. Aber eben nur fast. Spitz oder nicht Spitz, das ist hier die Frage. Während Ferrari angestrengt nach einem Ausweg suchte, verhärteten sich die Fronten. Hilde warf Martha vor, dass sie geizig sei und nur die Kosten für einen neuen Spitz scheue. Martha konterte, wenn hier jemand geizig sei, dann wohl Hilde. Sie würde nämlich immer nur die Aktionen kaufen und ihr ganzes Leben nach diesen Schnäppchen ausrichten.
«Es war kein Spitz auf dem Baum!», warf Ferrari plötzlich in die Diskussion ein.
Den alten Damen blieb das Wort im Hals stecken.
«Hilde hat Recht. Es war wirklich kein Spitz auf dem Baum. Jetzt fällt es mir wieder ein. Kannst du dich nicht mehr erinnern, Monika? Du hast mich gebeten, den Spitz aufzusetzen. Ich bin von der Leiter gerutscht und mit mir der rote Spitz. Er zersplitterte in tausend Stücke.»
«Jetzt, wo du es sagst. Genau, so war es. Und wir konnten keinen neuen Spitz auftreiben.»
«Das sagst du nur, um mir eins auszuwischen. Was bist du nur für ein Sohn!»
«Also, ich muss schon bitten, Mama. Ich sage nur die Wahrheit.»
«Papperlapapp! Der Spitz war auf dem Baum.»
«Du bist stur und uneinsichtig, Mama. Der Spitz ist kaputtgegangen. Es war meine Schuld.»
«Ich bin also stur. Das habe ich nicht verdient. Ich habe mein Bestes gegeben, habe dich mit Liebe und Geduld erzogen und jetzt das», schluchzte Ferraris Mutter.
«Also wirklich, Francesco. Das hat Martha nicht verdient.»
«Aber, Hilde, du sagst doch selbst, dass meine Mutter stur ist.»
«Jetzt musst du nicht auch noch mit mir streiten, Francesco. Reicht es nicht, dass du deine Mutter beleidigst? Monika, sag ihm, dass er sofort aufhören soll.»
«Du hast gehört, was unsere Mütter sagen, Francesco», säuselte Monika.
«Ja, aber ich … ich habe doch … eigentlich wollte ich nur gemütlich ein Glas Wein trinken, und nicht über einen blöden Weihnachtsspitz diskutieren.»
«So ist das also! Du warst schon immer ein Atheist. Zum Glück muss das dein Vater nicht mehr erleben. Komm, Hilde, wir gehen. Rufst du uns bitte ein Taxi, Monika … Wir kaufen dir in Freiburg oder in Strassburg einen neuen, wunderschönen Spitz. Für dich und für Nikki. Du musst dann aber aufpassen, dass der da ihn nicht wieder absichtlich kaputt macht.»
«Absichtlich kaputt macht?!», wiederholte Ferrari.
«Ja, ja! Getroffene Hunde bellen. Komm, Hilde, wir warten draussen. Mit meinem Sohn kann man nicht vernünftig diskutieren. Er wird immer gleich jähzornig.»
Ferrari nippte an seinem Weinglas, als Monika zurückkam.
«Das hast du wieder einmal grossartig hingekriegt, mein Schatz!»
Liebevoll strich sie ihm übers Haar.
«Lass das!»
«Nun sei doch nicht gleich eingeschnappt. Wir wussten es wirklich nicht mehr. Ist Nikki nach oben?»
«Ja. Sie muss noch was für die Schule fertig machen. Du hast mich einfach blindlings in die Falle tappen lassen, und zwar vorsätzlich. Darauf steht lebenslänglich, mit mir.»
Monika lachte.
«Das klingt verlockend. Wie war dein Tag?»
«Gut, bis vor einer halben Stunde.»
«Einer ist immer der Dumme.»
«Aber in letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass immer ich der Trottel bin. Was ist nur mit den beiden los?»
«Unsere Mütter leiden unter dem Weihnachtskoller. In der nächsten Woche sind wir sie für eine Weile los. Zuerst Freiburg, dann Strassburg und zum krönenden Abschluss noch Heidelberg.»
«Gehen wir eigentlich auch zusammen über den
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