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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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Xu noch andere Habseligkeiten Laus in ihrem Besitz hatte.
    Lokesh blickte auf. »Was genau hatte sie?« fragte er angespannt.
    »Kein gau «, sagte Shan. »Bücher. Ein kleines Jadepferd. Und ein Etui für Schreibgeräte.«
    »Ein Etui?« wiederholte Lokesh drängend und beugte sich vor. »Aus Kupfer? Mit türkisfarbenen Kreisen?«
    Shan schüttelte den Kopf und musterte seinen Freund verwirrt. »Aus Weißmetall. Mit einer Koralle.«
    Lokesh verzog wie unter Schmerzen das Gesicht und wandte sich wieder der Glocke zu.
    Shans Blick richtete sich erneut auf die Tafel in Jaklis Hand. Er fragte, was für ein Institut für Altertümer Bao gemeint haben könnte.
    »Das Volksinstitut für Altertümer«, erklärte Jakli. »Es ist eine Gruppe von Regierungswissenschaftlern, Archäologen mit Parteibüchern.«
    »Das verstehe ich nicht«, sagte Shan. »Wieso sollte Bao dann eine Verbindung zu irgendwelchen Westlern vermuten?«
    Jakli sah ihn mit neuerlicher Beunruhigung an. »Westler? Das hat er gesagt?« Sie schüttelte langsam den Kopf. »Lau hat diese Tafeln von den Amerikanern erhalten, und zwar eine größere Anzahl, die sie an die zheli verteilen sollte. Es sollte dazu beitragen, den Kindern zu vermitteln, wer wir sind.«
    »Aber Major Bao sieht darin einen Verrat«, sagte Shan, dessen Verstand plötzlich auf Hochtouren arbeitete. Er hatte sich im Hinblick auf Xu getäuscht. Sie hatte weder von Sui noch von den beiden toten Jungen gewußt. Womöglich ging es von Anfang an nur um Bao. Um Bao und die Einsatzkommandos, die nach angeblichen Landesverrätern suchten. Der Major mußte auf eine Verbindung zwischen Lau und den Amerikanern gestoßen sein und folgte jetzt vielleicht der zheli zu den Westlern. Shan mußte an das Gedicht über den Lama und Baos Reaktion auf die hölzerne Tafel denken. Beweise für einen Verrat. Für Bao würde die Suche nach Verrätern wichtiger sein als die Suche nach Suis Mörder, wenigstens vorübergehend, sofern er kurz davorstand, die Verräter zu ergreifen. Shan und Jakli tauschten einen erschrockenen Blick aus.
    »Wir müssen die Amerikaner warnen«, rief Jakli aufgeregt. »Sie kommen manchmal zu den Treffen der zheli .«
    »Zu den Treffen der zheli ?« wiederholte Shan ungläubig. »Aber das wäre doch viel zu gefährlich.«
    »Ich war mit Fat Mao dabei, als Lau versucht hat, es ihnen auszureden. Die Amerikaner sagten, sie wollten den Kindern von ihrer Arbeit erzählen, um die nachfolgende Generation wissen zu lassen, daß es auch noch andere Leute auf dieser Welt gibt, die sich um sie sorgen.«
    Ihre Arbeit. Was taten die Amerikaner, daß Bao dermaßen in Wut geriet? Gruben sie antike Holztafeln aus? Sahen sie sich alte Stoffe an?
    »Sie sagten, die Aufmerksamkeit der Kinder sei das Risiko wert«, fügte Jakli hinzu.
    Shan erinnerte sich an Deacons seltsame Behauptung, er und seine Frau seien nach Xinjiang gekommen, um sich nicht mehr zu verstecken. »Vielleicht sollten Sie lieber die Amerikaner aufsuchen«, sagte er. »Ich muß den Kindern helfen.«
    Jakli starrte ihn an, und ihr Blick weitete sich in plötzlicher Erkenntnis. »Was Sie da gerade von Bao erzählt haben, bedeutet ja, daß es eigentlich um die Amerikaner geht. Er will über Laus Schüler an die Amerikaner herankommen. Die Kinder verstecken sich. Es wird Ihnen nie gelingen, sie aufzuspüren. Und da wir die Kinder nicht finden können, müssen wir uns vom anderen Ende der Kette zurückarbeiten. Wir müssen die Amerikaner finden und ihre Verbindung zu den Kindern untersuchen. Um die Fährte zu verwischen, der Bao folgt. Genau das müssen wir tun. Und dann werden wir dafür sorgen, daß Sie rechtzeitig an der nepalesischen Grenze eintreffen.« Ihre Augen funkelten entschlossen.
    Auf einmal tauchte eine Gestalt im Eingang auf, eine zierliche junge Frau in der grauen Uniform der Kriecher. Sie erstarrten vor Schreck, alle außer Lokesh, der aufstand und die dorje-Glocke läutete, jene Glocke, mit der man Dämonen vertreiben konnte. Er ließ sie mehrmals laut erklingen, trat dabei vor und streckte der Frau das Instrument entgegen. Bei jedem seiner Schritte wich sie ein Stück zurück, bis sie sich schließlich umdrehte und den Gang hinunterrannte. Lokesh lachte. Jakli packte ihn am Arm, und dann liefen sie alle gemeinsam zum anderen Ende des Korridors.
    Das Gefühl war diesmal anders, dachte Shan. Der Anblick Karatschuks erfüllte ihn nach wie vor mit Ergriffenheit, und auch jetzt hatte er den Eindruck, eine Reise in die Vergangenheit

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