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Das Auge von Tibet

Das Auge von Tibet

Titel: Das Auge von Tibet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eliot Pattison
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sie die Felsen ab. »Osman ist nicht weggegangen. Er ist der Beschützer von Karatschuk.«
    Sie fanden den Herrn des Hundes im Tempel. Er lag auf einem Strohsack vor dem provisorischen Altar. Nur zwei Kerzen erhellten den großen Raum. Der Hund hatte zur Begrüßung seine Schnauze in Jaklis Händen vergraben und war ihnen dann in die Kammer gefolgt. Nun lief er vor und stieß Osman mit der Nase an.
    »Schon gut«, murmelte Osman und setzte sich auf. Als sein Blick sich klärte, zuckte seine Hand plötzlich zu einem Gegenstand, der neben ihm lag. Dann jedoch erkannte er seine Besucher und entspannte sich wieder.
    »Es tut uns leid, daß wir Sie aus Ihren Träumen reißen müssen«, sagte Shan.
    »Eigentlich habe ich gar nicht geschlafen, sondern gelauscht«, entgegnete Osman schroff. Dann flüsterte er dem Hund etwas ins Ohr, woraufhin das Tier davonlief und im Tunnel verschwand, um auf seinen Posten zurückzukehren.
    »Gelauscht?« fragte Shan.
    Osman nickte und blickte in Richtung des schwach beleuchteten Korridors. »Auf den Wind. Auf Helikopter. Auf Geister.« Er war in finsterer Stimmung.
    »Irgendein Zeichen von Nikki?« fragte Jakli leise.
    »Natürlich nicht, Mädchen«, brummte Osman und rieb sich das Gesicht. »Er ist viel zu schlau, um sich jetzt aus den Bergen zu wagen. Vermutlich wird er direkt zum Reiterfest kommen.« Bei diesen Worten warf der Kasache ihr ein kleines erwartungsvolles Lächeln zu.
    Lokesh trat an den Altar, entzündete mit einer Kerze eine der Butterlampen und bedeutete Shan, es ihm gleichzutun und Buddha somit seine Reverenz zu erweisen. Als Shan über Osmans Strohlager stieg, fiel ihm am Boden etwas Funkelndes auf. Dort neben dem Kasachen lag ein langes Messer, fast so groß wie ein Schwert.
    »Ihr seid zu früh zurückgekommen.« Osman sprach zu Jakli, aber seine Augen waren argwöhnisch auf Shan gerichtet. »Die Kriecher könnten immer noch hier auftauchen.«
    »Wir bleiben nicht«, erwiderte Jakli. »Du mußt uns den Weg zu dem Amerikaner verraten. Deacon. Er ist in die Wüste geritten. Zu welcher Oase?«
    »Zu keiner Oase.«
    »Er muß in einer Oase sein«, sagte sie ungeduldig. »Wir müssen ihn finden, Osman.«
    Shan schaute sich in dem Raum um, der immer mehr in Licht getaucht wurde, weil Lokesh weitere Lampen entzündete. Die Buddhastatue lag wieder unter der Decke verborgen. Er sah Holzkisten voller Alkoholflaschen, einen Korb mit Gläsern und irgend etwas Undefinierbares in den hinteren Schatten. Kartons. Shan ging drei Schritte darauf zu, dann hob Osman warnend die Hand. »Zuviel Neugier kann gefährlich werden«, sagte der grauhaarige Kasache.
    Aber Shan hatte genug gesehen. Kartons wie diese waren ihm kürzlich erst begegnet, im Lager Volksruhm, in der Hütte mit dem toten Amerikaner. Sie enthielten elektrische Geräte. Auf den Kartons stand ein kleines leistungsstarkes Funkgerät.
    »Kehrt um«, sagte Osman. »Wartet ein paar Tage. Deacon wird hierher zurückkommen.«
    »Dann ist es vielleicht schon zu spät«, sagte Jakli. »Die Amerikaner könnten sich in Gefahr befinden.«
    »Du wirst nicht willkommen sein, selbst wenn du den Ort findest. Und wenn du ihn nicht findest, wird die Wüste dich verschlingen. Nikki würde mich tausend Tode sterben lassen, falls ich dich dorthin schicke und dir etwas zustößt.«
    »Und deshalb mußt du uns den Weg auch sehr genau beschreiben«, sagte Jakli und verschränkte entschlossen die Arme vor der Brust.
    Osman zog eine Flasche Wodka unter seinem Lager hervor. Als er nach den Gläsern griff, warf er seinen Besuchern einen zweiten Blick zu, legte den Wodka zurück und brachte statt dessen eine Flasche Wasser zum Vorschein. Er goß jedem ein Glas ein und bedeutete den Neuankömmlingen, sich auf den Boden zu setzen. »Zuerst fährt ihr sechzehn Kilometer genau nach Osten, so daß ihr stets euren Schatten vor euch habt, dann nach Nordosten durch den Tränenbrunnen, zwischen den beiden Felswänden hindurch. Dann fünf Kilometer genau nach Norden. Der Ort heißt Sandberg.« Er zeichnete derweil eine Skizze der Strecke auf den staubigen Boden und beschrieb markante Geländepunkte, die sie sehen würden. Es war die alte Methode, erkannte Shan, die Methode der Hirten. Informationen wurden mündlich und im Beisein aller weitergegeben, so daß man sich gemeinsam an die Einzelheiten erinnern würde. »Falls ihr mit Pferden unterwegs wärt, würde ich euch abraten, heute aufzubrechen. Es ist ein schlechter Tag in der Wüste. Er riecht irgendwie

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